Kleine Geschichten aus der Frühen Neuzeit:
Ein Schuhmacher im Dreißigjährigen Krieg

Tod, physische und psychische Verletzungen, Angst, Vertreibung, Flucht, Elend – das sind Begriffe, die wir mit Krieg in Verbindung bringen. Und dies nicht erst seit den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts.

Auch Hans Heberle, ein Landwirt und Schuhmacher, der vor 400 Jahren lebte, musste einen Krieg mit all‘ den leidvollen Nebenerscheinungen miterleben.

Heberle, geboren im Frühjahr 1597 in Neenstetten (nördlich von Ulm), begann mit 14 Jahren eine Schuhmacherlehre bei seinem Vater, ging Jahre später auf Wanderschaft bis in das Gebiet zwischen der Fränkischen und der Schwäbischen Alb und kehrte im Sommer 1622 zurück.

Vor seiner Heirat im Oktober 1627 erwarb Heberle ein Söldgut (Haus, Hofraite, Stadel, Garten, Krautgarten und ein Viertel Gemeindeacker), führte also fortan neben seinem Schuhmacherhandwerk noch eine kleine Landwirtschaft. In der Folgezeit mußte Heberle immer wieder „Kriegsdienst“ im Landesausschuß leisten.

Längst wütete in anderen Gebieten der sogenannte Dreißigjährige Krieg (1618-1648), der grob in vier Phasen unterteilt werden kann:

  • böhmisch-pfälzischer Krieg (1618-23),
  • niedersächsisch-dänischer Krieg (1625-29),
  • schwedischer Krieg (1630-1635),
  • schwedisch-französischer Krieg (1635-1648).

Ulm in einer Abbildung aus dem Jahre 1643: Matthäus Merian: Topographia Sveviae das ist Beschreib: vnd Aigentliche Abcontrafeitung der fürnembste[n] Stätt vnd Plätz in Ober vnd Nider Schwaben, Hertzogthum Würtenberg Marggraffschafft Baden vnd andern zu dem Hochlöbl: Schwabischen Craiße gehörigen Landtschafften vnd Orten. Frankfurt a.M. 1643, S. 200-202

Ulm in einer Abbildung aus dem Jahre 1643: Matthäus Merian: Topographia Sveviae das ist Beschreib: vnd Aigentliche Abcontrafeitung der fürnembste[n] Stätt vnd Plätz in Ober vnd Nider Schwaben, Hertzogthum Würtenberg Marggraffschafft Baden vnd andern zu dem Hochlöbl: Schwabischen Craiße gehörigen Landtschafften vnd Orten. Frankfurt a.M. 1643, S. 200-202; Quelle: Google E-Books

Bis zur Schlacht von Nördlingen im Jahre 1634 blieb Ulm von größeren militärischen Aktionen weithin verschont. Allein einzelne Einquartierungen, so in den Jahren 1620, 1625 und 1628, waren hinzunehmen. Für die Landbevölkerung hatte dies allerdings oftmals schwerwiegende Folgen: Plünderungen und Brandschatzen ihrer Besitzungen seitens der Truppen sowie die damit einhergehende Teuerung, denn die vorhandenen Waren und Erzeugnisse mussten mit den lagernden Soldaten geteilt werden.

Nach dem Bündnis der Stadt Ulm mit dem schwedischen König Gustav Adolf in Frankfurt (13. Februar 1632) war Süddeutschland der Schauplatz einer ständig wechselnden Kriegslage. Immer wieder zogen Truppen durch das Ulmer Land, wiederholt wurde die Stadt durch die kaiserlichen Heere bedrängt, galt jedoch – mit Recht, wie sich in diesem Krieg zeigen sollte – als uneinnehmbar.

Im Anschluss an die Niederlage der Schweden in Regensburg (Juli 1634) flohen die schwedischen und weimarischen Truppen in das Ulmer Territorium und richteten dort, entgegen den Erwartungen, großen Schaden an. In dieser Zeit spitzte sich die Situation vor allem für die Landbevölkerung dramatisch zu. Die Geschehnisse um Hans Heberle und seine Familie mögen dafür ein beredtes Zeugnis sein.

„Weil wir in [= ihn, gemeint ist Herzog Bernhard von Sachsen-Weimar] aber für keinen feündt [= Feind] hielten, und wir auch von der oberkeit nicht gewarnet worden, hatten wir alles bey einand, roß und vüch und alle haußgeret, all unser armut. Da fallen sie unß in das landt, blündern uns alle auß, roß und vüch, brot, mehl salz, schmalz, tuch, leinwath, kleider und all unser armut. Sie haben die leit ubel geschlagen, etliche erschossen, erstochen und zu todt geschlagen.“ (Zillhardt, Heberles „Zeytregister“, S. 148)

Die Bewohner Weidenstettens, unter ihnen Hans Heberle, wehrten sich zwei Tage lang gegen die zunächst für Verbündete gehaltenen Truppen, jedoch ohne Erfolg:

„Dan weil wir unß lang gewehret, haben sie das dorff angezündet und fünff heüsser und 5 stedel abgebrandt. […] Da komen die reiter, etliche hundert, zu unß herein, blündern rauben und nemen alles hinweg, was sie füehren und tragen kundten, vüch und roß muß alles wegh, was sie kenden ertappen, das wenig roß und vüch in dem landt gebliben ist.“ (Zillhardt, Heberles „Zeytregister“, S. 148)

12 Tage später gebar Anna, die Ehefrau Heberles, das 5. Kind, Bartholome – dass dies vor allem für die Frau und das Neugeborene eine enorme Belastung darstellte, braucht kaum erwähnt zu werden. Hinzu kommt, dass in der Folgezeit die Ernte eingebracht werden mußte, und dafür stand kaum noch Vieh zur Verfügung.

Die Niederlage der schwedischen Truppen bei Nördlingen im September 1634 und ihr Zurückweichen in Richtung Ulmer Territorium verursachte eine große Fluchtbewegung der Landbevölkerung in die Stadt Ulm.

Heberle, seine Frau und die fünf Kinder – 5 Tage, 23 Monate, 3 1/2, 4 1/2 und 6 Jahre alt – machten sich ebenfalls, ohne oder nur mit wenig Gepäck, auf den Weg. Mit „vüll tausendt menschen“ trafen sie am Abend vor der Stadt ein, wurden jedoch erst am nächsten Morgen eingelassen. Enge und Hunger, Krankheit und Tod beherrschten das Leben in der Stadt.

Es war bereits die zweite Flucht nach Ulm und es sollten bis zum Jahre 1639 sollten es gar 29 Fluchten werden -, um anschließend, bei der Rückkehr, meist einen verwüsteten und geplünderten Hof vorzufinden. Zudem verloren er und seine Frau in den Jahren 1634/35 vier ihrer bis dahin fünf Kinder.

Heberle selbst wurde fast 80 Jahre alt. Im Frühjahr 1677 starb er und hinterließ seine Chronik, das sogenannte „Zeytregister“, aus dem diese Beschreibungen stammten.

 


Literatur und Quellen (Auswahl)

  • Zillhardt, Gerd: Der Dreißigjährige Krieg in zeitgenössischer Darstellung. Hans Heberles „Zeytregister“(1618-1672). Aufzeichnungen aus dem Ulmer Territorium (Forschungen zur Geschichte der Stadt Ulm, Bd. 13). Ulm 1975

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