Die Hochrenaissance

In der Hochrenaissance, also in den Jahren zwischen 1490 bis 1530, verfestigten sich die die Gedanken und Ideen der Frührenaissance, sie wurden konsequenter und entwickelten sich weiter: Die Wiedergeburt der Antike war nahezu abgeschlossen (s. Roeck, S. 676), das bereits hier und da in der Frührenaissance zu erkennende Schöpfertum des Menschen formierte sich zu einem Selbstbewusstsein, nicht nur Gleichwertiges oder gar Neues, sondern auch Besseres als die Alten (also die Denker und Künstler der Antike) schaffen zu können (Burke, S. 92).

In etlichen Städten Italiens entwickelte sich Großes, und auch wenn Rom zu einem „Zentrum der Innovationen“ wurde, dürfen andere Stätten der Hochrenaissance nicht unterschätzt werden: z.B. Florenz, Venedig oder auch Mailand. Und: „Es war zugleich die Zeit, als man im Norden beanspruchte, mit den Italienern in Wettstreit zu treten.“ (Burke, S. 92)

Wie auch im Kapitel über die Frührenaissance werden auch in diesem Kapitel die Orte und die Personen, die den Gang der Renaissance formten, näher beschrieben.

Italien im 15. Jahrhundert

Wenn von Italien zur Zeit der Renaissance die Rede ist, dann ist nicht ein Italien im heutigen Verständnis gemeint: mit einer Hauptstadt, einem Präsidenten und einer Ministerpräsidentin, einem Parlament, einer Untergliederung des Landes in 20 Regionen, die eigene Gesetzgebungsbefugnisse besitzen.

Italien im 15. Jahrhundert ist ein komplizierteres Gebilde: Ja, es gab

  • fünf Großmächte: die Republiken Venedig und Florenz, das Herzogtum Mailand, den Kirchenstaat, das Königreich Neapel-Sizilien,
  • mehrere Mittelstaaten,
  • Einzelherrschaften (auch Signorien genannt),
  • viele kleine und kleinste Staaten sowie
  • gewisse Herrschaftsgrauzonen. [Kapitel 2, Volker Reinhardt: Die Renaissance in Italien. Geschichte und Kultur. 2019]

Kompliziert wurde es aber durch die verschiedenen und vielfach wechselnden Bündnisse, Verflechtungen und Abhängigkeitsverhältnisse. Frankreich, Spanien, das Heilige Römische Reich mischten dabei ebenso mit wie die italienischen Herrschaftsfamilien – z.B. die Medici, die Visconti, die Familie Sforza –, oder auch der Papst. Kleinere Staaten oder Herrschaften lehnten sich ihnen an, ordneten sich ihnen unter, verbündeten sich mit ihnen – oder mit ihren Gegnern.

All das sorgte für Unruhen, es gab kriegerische Auseinandersetzungen – und dabei viele wechselnde Allianzen. Wichtig für die Zeit, die die Hochrenaissance einleiten sollte, war der sogenannte Frieden von Lodi im Jahre 1454, der die Konflikte und kriegerischen Konfrontationen zwischen dem Mailänder Herrscherhaus der Sforza und der Republik Venedig beendete – und letztlich waren alle fünf oben genannten italienischen Großmächte eingebunden. „Diese Renaissancestaaten entwickeln das System der der ständigen diplomatischen Vertretungen, wie es sich zuerst 1440/60 zwischen den italienischen Hauptstädten herausbildete. [Ennen: Die Europäische Stadt des Mittelalters, 4. verbesserte Aufl., Göttingen 1987, S. 210] Vier relativ ruhige Jahrzehnte folgten, auch wenn das ganze Gebilde auf einem teilweise recht wackeligen Gleichgewichtsgefüge basierte: „Es keinen vierzigjährigen Glücks- oder auch nur Friedenszustand, sondern nur eine sehr relative Entspannung“, schreibt Volker Reinhardt dazu. [Volker Reinhardt: Die Renaissance in Italien. Geschichte und Kultur. 3., durchgesehene Auflage. 2012, S.29]

In diese Zeit mit einem „Klima wachsenden Misstrauens“ [Ebd., S. 33] fiel der Einmarsch des französischen Königs Karl VIII. 1494 nach Italien, um Richtung Süden zu ziehen und das Königreich Neapel einzunehmen. Eine gemeinsame Unternehmung der Großstaaten Italiens gab es nicht: Es wurde ein recht problemloser Durchmarsch nach Neapel – mit der Krönung Karls zum König von Neapel. Auf dem Rückweg hingegen stellten sich die Großmächte gegen den französischen König – bis auf Florenz: Pietro di Medici hatte sich bei Karls Siegeszug gen Süden diesem angebiedert und wurde daraufhin aus Florenz vertrieben. Kurzzeitig trieb der Dominikanerprior Girolamo Savonarola (1452-1498) sein Unwesen in der Stadt.

Ferdinand II. (1469-1496), der eigentliche König von Neapel, schaffte es kurze Zeit später, mit Hilfe kastilischer Truppen, seine Macht in Neapel zurückzuerlangen.

Ruhig wurde es damit nicht: Mit dem Einmarsch Karls VIII. begannen die so genannten Italienkriege – eigentlich „ein Zweikampf zwischen dem Hause Valois und den Habsburgern über die Vorherrschaft in Europa“, vornehmlich auf italienischem Boden, und endete mit der spanisch-habsburgische Vormachtstellung in Europa, besiegelt mit dem „Frieden von Cateau-Cambrésis“ im Jahre 1559.

Im Folgenden werden diese Grunddaten immer wieder eine Rolle spielen, denn viele Künstler waren abhängig von einzelnen Herrscherfamilien und wechselten auch aus wegen der jeweiligen politischen Lage ihren Wohn- und Arbeitsort.

Florenz

Florenz um 1500

Mein Artikel über die Frührenaissance hat die damalige führende Rolle der Stadt Florenz bereits hervorgehoben, das Wirken von Filippo Brunelleschi, Donatello, Lorenzo Ghiberti, Masaccio (1401-1428), Sandro Botticelli (1445-1510) und Leon Battista Alberti (1404-1472) kurz dargestellt.

Wie ging es weiter? Nun, es folgte beispielsweise kein geringerer als einer der berühmtesten und wegweisendsten Künstler der Hochrenaissance: Michelangelo (1475-1564). Aber erst einmal zu Florenz:

Die Familie der Medici war 1494 aus Florenz vertrieben worden und sollte erst 18 Jahre später wiederkommen. Zwischenzeitlich herrschte der Dominikaner und Bußprediger Girolamo Savonarola (1452-1498), der mit Prophezeiungen und vielen Schriften, die zur Buße und zum Gebet aufriefen, reichlich Nachfolger fand. Die Reinigung des Christenlebens und ein zu errichtender Gottesstaat stellte er den Lastern seiner Zeit gegenüber, wetterte gegen Künstler und Dichter, gegen Wollust und Homosexualität, ließ antike Schriften und humanistische Bücher verbrennen. Nach einem verlorenen Krieg, folgender Lebensmittelknappheit und einzelnen Pestfällen kippte die Stimmung, Savonarola wurde hingerichtet.

An die Spitze der florentinischen Regierung trat nun Piero Soderini (1451-1522), der einer alten florentinischen Familie entstammte und dem früheren Machtkreis der Medici angehörte. Seine Herrschaft wird als „moderat und weise“ (Encyclopaedia Britannica [https://www.britannica.com/biography/Piero-di-Tommaso-Soderini]), als wohlwollend und unparteiisch (italienische Wikipedia-Ausgabe [https://it.wikipedia.org/wiki/Pier_Soderini]) beschrieben, ohne dass er große staatsmännische Qualitäten besessen hätte. Trotz Beratung großer Persönlichkeiten, unter ihnen der bis heute bekannte Staatsphilosoph Niccolo Machiavelli (1469-1527), trugen Fehlentscheidungen dazu bei, dass er 1512 vertreiben wurde:

Papst Julius II. verbündete sich mit der Republik Venedig und ging gegen in Italien lebende Franzosen und Deutsche vor. Soderini hatte sich auf die Seite der Franzosen gestellt und einem von ihnen vorgeschlagenen Konzil zugestimmt. Julius II. verbündete sich mit verschiedenen italienischen Mächtigen, unter anderem den Medici, und Truppen aus dem spanischen Neapel drangen bis Florenz vor. Dort wurden rasch Kapitulationsverhandlungen geführt – und die Medici standen nun wieder der Regierung der Republik Florenz vor.

Giovanni de’ Medici (1475-1521), Sohn von Lorenzo il Magnifico (dem Prächtigen), wurde bereits mit 14 Jahren zum Kardinal bestimmt und nutzte diese Rolle später mit Blick auf seine Familie geschickt aus. Er kam gut mit Papst Julius II. zurecht, was der (Macht-)Rückkehr der Medici 1512 nach Florenz dienlich war, und verstand es auch nach seiner Wahl zum Papst („Leo X.“) im März 1513 „kühl kalkulierender Machtpolitiker“, bei Konflikten „zu beiden Seiten gute Beziehungen zu unterhalten“ (Reinhardt, Medici, S. 104f.). Den Medicis kam dies zugute, die Familieninteressen standen im Vordergrund – Florenz allerdings hoffte vergeblich auf mehr Geld und Macht, etliche Entscheidungen über die Republik kamen allerdings aus Rom. Dies blieb auch mangels fähiger Medici-Mitglieder in Florenz nach dem Tod Leos X. 1521 so, als für den Übergang der Niederländer Hadrian VI. (1459-1523) und anschließend der Cousin Leos, Giulio de’ Medici, (1478-1534) als Papst Clemens VII. folgte.

Mit dem 1494 erfolgten Neapelfeldzug des französischen Königs Karl VIII. (s.o.) begannen die sogenannten Italienischen Kriege, die erst 1559 mit dem Frieden von Cateau-Cambrésis ihr Ende finden sollten. Beteiligt waren unterschiedliche Mächte mit unterschiedlichen Interessen und wechselnden Bündnissen – im Großen ging es um die Vorherrschaft in Europa zwischen den Herrscherhäusern Habsburg und Valois. 1521 kam es zum Krieg zwischen dem Habsburger Karl V. (1500-1558), dem späteren Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und gleichzeitig König von Spanien, und dem französischen König Franz I. (1494-1547, „der Ritterkönig“) aus dem Haus Valois-Angoulême, einer Nebenlinie des Hauses Valois. Es ging vornehmlich um Oberitalien, doch gab es auch andere Kriegsschauplätze.

Der Medici-Papst Clemens VII. stellte sich zunächst auf die Seite des Kaisers, wechselte dann zur Liga von Cognac. Als die Truppen Karls V. Rom erobert, geplündert und schließlich Clemens gefangengenommen hatten, wollte man sich in Florenz seiner Verwandten entledigen – und die Medici wurden abermals vertrieben. Der Papst schaffte es allerdings, einen Frieden mit Karl zu schließen (Friede von Barcelona, 1529), erhielt die Herrschaft über den Kirchenstaat zurück – und die Medici waren zurück in Florenz. Kurze Zeit später krönte der Papst Karl V. zum Kaiser.

Michelangelo in Florenz

„Der Weg zum Ruhm“ (1) mit der Lehre bei dem Florentiner Maler Domenico Ghirlandaio (1449-1494), die Flucht aus Florenz 1494 Richtung Venedig, dann nach Bologna, nach Rom, wo er als 24-Jähriger den Status des bedeutendsten Bildhauers der Nachantike gewann“, (2) von 1501 bis 1516 seine Stationen Florenz mit dem David, Bologna mit der Bronzestatue von Papst Julius II. und Rom mit der Decke der Sixtinischen Kapelle, (3) die Zeit in Florenz von 1516 bis 1534 mit Niederlagen und  Triumphen und (4) das Jüngste Gericht, das Julius-Grabmal und der die Bauleitung des Peterdoms und seiner Kuppel.

Diese Unterteilung von Michelangelos Leben stammt von Horst Bredekamp, Professor für Mittlere und Neuere Kunstgeschichte am Institut für Kunst- und Bildgeschichte (IKB) der Humboldt-Universität zu Berlin, der 2004 eine Monographie, ein Standardwerk zum großen Künstler veröffentlicht hat (2021 in 2., überarbeiteter Auflage erschienen). Und schon in der Zusammenfassung der vier Lebensabschnitte wird deutlich, wie umfangreich und mannigfaltig das Werk Michelangelos aus Bildhauerei, Malerei und Architektur war.

Seine zweite Florentiner Zeit von 1501 bis 1504 verbindet man vornehmlich mit der Erstellung des David, die wohl berühmteste Skulptur der Kunstgeschichte:

Am Anfang war da dieser riesige Block aus Marmor. 12 Tonnen schwer, über fünf Meter lang, aber recht schmal, schon vor Jahrzehnten von mehreren Künstlern bearbeitet, zudem gab es viele Diskussionen zum Ort, wo das Kunstwerk letztendlich stehen sollte – keine leichte Ausgangssituation für jemanden, der damit einen ersten öffentlichen Auftrag entgegennehmen sollte. Aber auch eine große Chance, schon als Mittzwanziger in die Fußstapfen eines Donatello zu treten, dem bis dahin größten Bildhauer der Stadt.

Die Version des David, wie Michelangelo sie plante und schuf, passte in seine Zeit: Nicht als Sieger, sondern als kurz vor dem Kampf gegen den Riesen Goliath sollte er gezeigt werde. Kurz vor der Ausschreibung des Auftrags hatte Macchiavelli ein Bürgerheer aufgestellt, der sich jeder kampffähige Bürger der Stadt anschließen sollte, mit ausgeteilten Waffen, die der Bürger frei wählen konnte. So trat Florenz gegen die Franzosen und die Medici, aber v.a. auch im Krieg gegen Pisa an. Und auch David verteidigte sich mit Erfolg: mit einer selbst gewählten, scheinbar unterlegenen Waffe.

1504 hatte Michelangelo den David fertiggestellt. Er steht in der Accademia di Belle Arti (auch Galleria dell’Accademia genannt), der ersten Akademie für Malerei in Europa. 1873 verließ sie ihren ursprünglichen Standort am Palazzo Vecchio.

Kurze Zeit danach ging Michelangelo nach Rom, kehrte 1501 nach Florenz zurück, arbeitete ab 1505 wieder in Rom zu arbeiten, um ab 1508 die berühmten Fresken der Sixtinischen Kapelle zu malen – mehr dazu im Kapitel über Rom.

Mailand

Mailand und Leonardo da Vinci

Leonardo da Vinci (1452-1519) war zunächst eng mit der Stadt Florenz verbunden – so eng, dass der französische Kunsthistoriker Daniel Arasse (1944- 2003) gar schrieb: „Leonardo war ganz und gar Florentiner“ [Daniel Arasse: Leonardo da Vinci. Köln 1999, S. 148], gleichwohl er höchstens 20 Jahre dort gelebt und gearbeitet habe. In der Nähe geboren und aufgewachsen, lebte Leonardo ab 1457 in Florenz. Dort ging er auch in die Lehre bei einem bekannten Bildhauer, Maler und Goldschmied, Andrea del Verrocchio (1435–1488), und arbeitete bei ihm noch weitere Jahre.

Letztlich habe er, so Volker Reinhardt [Leonardo da Vinci, S. 60] 1482 wohl aus eigenem Antrieb den Wechsel von Wohn- und Arbeitsort vorgenommen – in Florenz waren größere Aufträge nicht zu erwarten. Und zu den Künstlern, die Lorenzo de’ Medici (1449-1492) als Folge des Friedensabkommens (um 1479) mit Papst Sixtus IV. (1414-1484) nach Rom schickte, gehörte Leonardo auch nicht. Volker Reinhardt vermutet, dass man „einen notorischen Nicht-fertig-Macher“ [ebd., S. 58] bei dieser heiklen Mission in Rom nicht gebrauchen konnte – vielleicht sei auch die Begebenheit rund um seinen Lehrling aus Leonardos Werkstatt, der wegen unsittlichen Verhaltens ein halbes Jahr gefangen gehalten wurde, mitausschlaggebend gewesen.

In Bernd Roecks Biografie von Leonardo wird der Grund eher bei dem Künstler selbst gesucht: „Vielleicht interessierte ihn der Auftrag nicht. (…) Die [in Rom verlangte] Wandmalerei blieb für ihn zeitlebens ein sperriges Metier.“ Hinzu kam, „dass er sich inzwischen intensiver mit technischen und wissenschaftlichen Fragen auseinanderzusetzen begann“. (S. 88)

Und so machte er sich Ende 1481 oder Anfang 1482 auf den Weg nach Mailand.

Das Herzogtum Mailand zur Zeit der Sforzas

Der Mailänder Hof war der Wohn- und Regierungssitz der Familie des Herzogtums, das von 1395 bis 1797 Bestand hatte und große, weit über die Stadt hinausragende Gebiete (ungefähr die Gebiete der heutigen Lombardei) umfasste – mal mehr, mal weniger: Politik und Kriege sorgten für Veränderungen des Territoriums.

Zur Zeit Leonardos herrschte die Familie der Sforza in Mailand, die begründet wurde durch Francesco Sforza (1401-1466). Francesco war als 22-Jähriger bereits ein Söldnerführer, muss körperlich sehr stark gewesen sein und bewies sich später auch als besonders guter Kommandeur und Taktiker. Als der Herrscher von Mailand, Filippo Visconti (1392-1447), starb, übernahm Francesco, verheiratet mit Filippos Tochter, die Herrschaft in Mailand.

Francesco Sforza war es auch, der 1454 den Frieden von Lodi mit dem großen Rivalen auf dem italienischen Festland, der Republik Venedig, schloss – siehe oben. Nach seinem Tod 1466 regierte sein Sohn Galeazzo Maria Sforza, der vergeblich nach der Königswürde trachtete und einer herrschaftlich-prunkvollen Lebensweise am Mailänder Hof frönte. Die beste Musikkapelle Italiens sollte dort musizieren, die besten Sänger sollten angeheuert werden. „Seine Cappella wuchs auf mehr als dreißig Sänger an und war damit größer als jede andere in Italien, sogar die päpstliche Kapelle.“ (Siehe Abstract: https://www.cambridge.org/core/journals/early-music-history/article/abs/galeazzo-maria-sforza-and-musical-patronage-in-milan-compere-weerbeke-and-josquin/EA2B5597503CBFD95EEE1777DFCF9802) Zehn Jahre herrschte er, den Künsten und der Musik sehr zugeneigt, aber mit einem Hang zur Brutalität und Grausamkeit, bis er 1476 ermordet wurde.

Galeazzos Sohn war erst sieben Jahre alt und so übernahm Galeazzos Bruder Ludovico Sforza (1452–1508) die Regentschaft von dem minderjährigen Neffen – und behielt sie faktisch auch, als der Neffe volljährig wurde.

1499 wurde das Herzogtum Mailand von Ludwig XII., König von Frankreich, angegriffen. Sie vertrieben Lodovico Sforza und regierten Mailand bis 1513.

Leonardo am Mailänder Hof

Wie Leonardo da Vinci in den ersten Mailänder Jahren folgenden Jahre und gearbeitet hat, ist recht unsicher, eine Forschungslücke. Es existiert ein merkwürdiges Bewerbungsschreiben für eine Anstellung am Mailänder Hof – ob der dortige Herzog Ludovico Sforza (1452-1508) dieses jemals zu Gesicht bekam, ist zweifelhaft. Was genau Leonardo zwischen 1482 und 1489 machte, wie er sein Geld verdiente, ist nicht bekannt – war er zwischenzeitlich bereits am Hof angestellt? Eine Werkstatt hatte er, kleinere Arbeiten sind belegt, auch die „Felsgrottenmadonna“ schuf er zwischen 1483 und 1486, mehr aber nicht – eine Forschungslücke. [Reinhardt, S. 82]

Und ja, die Felsgrottenmadonna war schon ein gutes Zeugnis seiner Kunst: Fast 200 Zentimeter hoch und 120 breit, sind zwei Versionen davon vorhanden, sie zeigen erstaunliche Effekte, die zahlreiche Nachahmer an den Mailänder Schulen fanden. (Tönnesmann, S. 60)

Unter Ludovico Sforza kam also Leonardo da Vinci an den Mailänder Hof – und blieb, so viel steht fest, bis 1499. In dieser Zeit schuf er das berühmte „Letzte Abendmahl“ (ab 1495). Es waren aber nur wenig Kunstwerke, die Leonardo in dieser Zeit schuf, was ggf. daran lag, dass er auf unterschiedlichsten Wegen tätig war: Geometrie- und Statikstudien fertigte er an, beschäftigte sich mit der menschlichen Anatomie, stellte Überlegungen zur Verbesserung der Hygiene in der Stadt an und war an der Organisation der ersten Mailänder Müllabfuhr beteiligt, interessierte sich für die Kriegs- und Waffentechnik, wie etliche Skizzen aufzeigen.

Als Ludovico Sforza 1499 vom französischen König Ludwig XII. (1462-1515, König ab 1498) vertrieben wurde, kehrte Leonardo über Umwege zurück nach Florenz – „(…) und fortan war der Rhythmus seines künstlerischen Lebens bestimmt von der Suche nach einem Fürsten, dessen Hof ihm einen sicheren Hafen bieten konnte.“ [Arasse 1999, S. 148] Und tatsächlich: Für Leonardo, der so vielseitig interessiert war und so seinen mannigfachen Forschungen nachgehen wollte, wäre ein „normales“ Künstlerleben – in einer Zunft organisiert und Aufträge entgegennehmen zu müssen, für die es Abschlagszahlungen gab, bis das beauftragte Kunstwerk vollendet ist – zu einschränkend gewesen. An einem Hof hingegen konnte der Maler und Bildhauer auch noch „Architekt, Erfinder, Wissenschaftler und Ingenieur“ sein. [Grewenig, Meinrad Maria und Letze, Otto (Hrsg.): Leonardo da Vinci. Künstler, Erfinder, Wissenschaftler. Speyer 1995, S. 11]

Einige Jahre später wirkte Leonardo erneut am Mailänder Hof, jetzt unter Charles d’Amboise (1472/73-1511), der von Ludwig XII. als Vizekönig eingesetzt worden war. Leonardo widmete sich auch hier verschiedenen Studien, versuchte ältere Projekte zu Ende zu führen, verließ aber nach dem Tod von Charles d’Amboise Mailand.

Fragt man nach dem Besonderen der Kunst Leonardos, so muss zum einen konstatiert werden, dass es nur wenige Gemälde gibt, die eindeutig Leonardo da Vinci zuzuordnen sind – nach Grewenig/Letze (1995, S. 27 ff.) sogar nur vier: die unvollendeten „Der Heilige Hieronymus“ und „Anbetung der Könige aus dem Morgenland“, das Abendmahl-Fresko sowie die Mona Lisa.

Trotzdem kommt man nicht an dieser besonderen Art Leonardos vorbei, das Hauptmotiv vom Hintergrund abzuheben: das Sfumato. Es erinnert mich, der gerne fotografiert, an die Erzeugung eines Unschärfebereichs über die Einstellung der Blende erzeugt – und damit Vorder- und Hintergrund in Stufen voneinander trennen kann. Das Sfumato von Leonardo lässt den Hintergrund, z.B. bei der Mona Lisa, geheimnisvoll erscheinen, indem Kanten und Konturen und damit einzelne Bestandteile der Landschaft verschwimmen oder aufgelöst werden (Reinhardt, S. 194). Bernd Roeck zitiert den italienischen Architekten, Hofmaler der Medici und Biograph italienischer Künstler, Giorgio Vasari (1511-1574):

„Es war eben diese Kunst des ‚sfumato‘, die schon in der Sicht Vasaris Leonardos Stellung in der Kunstgeschichte begründete. ‚Es ist wunderbar, wie dieser Geist [«ingegno»] im Bestreben, den Dingen, die er machte, größte Körperlichkeit [«sommo rilievo»] zu geben, mit seinen dunklen Schatten so weit ging, um möglichst dunkle Gründe zu erzielen, ein Schwarz suchte, das tiefere Schatten machte und dunkler war als andere, damit das Helle durch sie noch heller werde (…) Alles kam daher, weil er größeres Relief zu geben suchte, um Ziel und Vollkommenheit der Kunst zu finden.‘“ (Roeck, 223f.)

Reinhardt erklärt zudem, dass die Wirkung des Hintergrunds der Mona Lisa „mit zahlreichen Abstufungen von Schatten und Licht“ (Reinhardt, S. 194) unterstrichen wurde. Er spricht damit das sogenannte Chiaroscuro an: das Hell (italienisch chiaro) und Dunkel (scuro), mit dem die dargestellten Szenen nahezu dreidimensional erscheinen, Volumen wird sichtbar, es „ermöglicht eine größere farbliche Einheitlichkeit, die realistischer ist“, wie die Kunsthistorikerin Allison Lee Palmer, ist Professorin an der School of Visual Arts der Universität von Oklahoma, in ihrem Werk „Leonardo Da Vinci. A Reference Guide to His Life and Works (2018, S. 38) schreibt.

Und ja, Leonardos Künste in diesem Bereich prägten die künftige Malerei ungemein, nach Palmer (S. 38) nutzte beispielsweise Caravaggio (1571-1610) sie für seine dramatischen Gemälde.

Rom

Während für die Frührenaissance v.a. Florenz und die Medici prägend waren, schob sich, nach der Vertreibung der Medici 1494, Rom in den Vordergrund. Künstler und Humanisten versammelten sich hier, konkurrierten und prägten sich gegenseitig bei den Ausübungen ihrer Künste. Vor allem unter den beiden Päpsten und Kunstliebhabern Julius II. (1443-1513, Papst ab 1503) und dem oben erwähnten Medici-Papst Lex X. (1475-1521, Papst ab 1513) versammelten sich viele bekannte Namen in Rom, u.a.:

  • Michelangelo, der 1494 über Umwege nach Rom kam, dort bis 1501 blieb, nach Florenz zurückkehrte und 1505 wieder in Rom weilte – und ab 1508 die berühmten Fresken der Sixtinischen Kapelle anfertigte;
  • Schon seit 1500 war der Maler und Baumeister Donato Bramante in Rom, der ab 1504 für den Neubau des Petersdoms zuständig sein sollte;
  • 1508 kam der Maler Raffael, der zudem Bramantes Nachfolger als Architekt und Bauleiter der Peterskirche wurde;
  • Leonardo da Vinci war zwischen 1513 und 1517 dort, jedoch mit wohl mäßigem künstlerischen Ertrag.

Im Kapitel über die Frührenaissance wurde der schlechte Zustand Roms im 14. Jahrhundert beschrieben, kurz: Die Stadt war schäbig und vermodert. Unter Papst Nikolaus V. (1397-1455, Papst ab 1447) wurden viele Makel beseitigt und Rom bereits deutlich aufgewertet, mit seinem Nachfolger, dem Dichter Enea Silvio Piccolomini trat als Pius II. (1405–1464, Papst ab 1458), trat  „ein Idealtyp der Renaissance an die Spitze Roms“ (https://www.g-geschichte.de/plus/rom-der-paepste/ von Frauke Scholl). In den Folgejahrzehnten kam es verstärkt zu Vetternwirtschaft und Korruption, denen der zuvor erwähnte Kunstliebhaber Papst Julius II. ein Ende bereiten wollte – und es teilweise auch schaffte.

„Unter Julius II. und seinem Nachfolger Leo X. schlugen den Künsten am Tiber Sternstunden“, schreibt Bernd Roeck in seinem „Morgen der Welt“ (S. 674). Rom glänzte wieder – aber nicht sehr lange, denn der „Sacco di Roma“, die Plünderung Roms durch Söldner Kaiser Karls V. 1527, und einer Seuche in demselben Jahr trafen Rom stark.

Michelangelo in Rom

Bramante, Raffael und Michelangelo waren die „Konstrukteure der römischen ‚Hochrenaissance‘“ (Roeck, S. 675), Raffael und Michelangelo die „Göttlichen“ (Roeck, S. 673). Als ein vortreffliches Beispiel für die Göttlichkeit der Kunst darf die Ausmalung der Decke, des Gewölbes der Sixtinischen Kapelle durch Michelangelo betrachtet werden.

Die gesamte Geschichte dieses Großauftrags – von den ersten Planungen bis zu der Fertigstellung – ist voller Fragen, zum Beispiel: Warum floh Michelangelo aus Rom, nachdem bekannt wurde, dass er nicht das Julius-Grabstätte zu Ende führen sollte sondern in der Sixtinischen Kapelle malen sollte? Wer hatte die Idee, statt des traditionellen Sternenhimmels etwas derart Komplexeres zu erstellen? Hatte Michelangelo vom Papst Julius II. tatsächlich „freie Hand“ bekommen, was die Ausgestaltung der Decke betraf?

Tatsächlich hatte Michelangelo endlich eine (heute nicht mehr existierende) überlebensgroße Bronzestatue eines kämpferischen Papstes, Julius II., fertiggestellt – und rechnete nun damit, endlich dessen Grabstätte fertigstellen zu können. Doch der Papst hatte nun andere Pläne, verärgerte damit offensichtlich Michelangelo, der wiederum mit einer Rückkehr nach Florenz 1506 Julius II. brüskierte.

Schließlich machte sich Michelangelo doch an die Vorbereitungen der Arbeiten in der Sixtinischen Kapelle. Wo sich bis dato ein Sternenhimmel zeigte, sollte nach ersten Gedanken des Papstes eine Ausgestaltung mit den Aposteln entstehen. Michelangelo gedachte Größeres als eine derartige „ärmliche Sache“ – und entwickelte die Idee der Darstellung vieler Figuren und Themen, im Mittelpunkt stehend die Geschehnisse der alttestamentarischen Genesis mit Schöpfung, dem ersten Menschenpaar und der Sinflut.

Die ca. 35 Meter lange, ca. 14 Meter breite Fläche maß über 500 Quadratmeter, die es – anstrengend über Kopf – zu befüllen galt, mit über 100 großen und zahlreichen weiteren, kleineren Figuren. Von 1508 bis 1512 arbeitete Michelangelo daran, allerdings nicht ganz allein, wie zeitweise gern kolportiert wurde. Er hatte durchaus einige Helfer.

Folgend: Beschreibung und Bildgalerie der Hauptmotive, s. https://de.wikipedia.org/wiki/Sixtinische_Kapelle#Deckengem%C3%A4lde

Bestes Gesamtbild: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Sistine_ceiling.jpg

Gesamtbild und einzelne Bilder in einer Bildershow – dazu jeweils kurze Beschreibungen: Bibelvers, kurze Erklärung (warum Erschaffung Adams mit Fingerzeig etc.?), etwas zum Stil

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Michelangelo: Fresken in der Sixtinischen Kapelle
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Die Erschaffung des Himmels und der Erde

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Literatur

Giovanni Boccaccio: Das Dekameron. Übers. v. Karl Witte, München: Winkler-Verlag, 1964, online unter:
http://www.zeno.org/(…)/Das+Dekameron/Sechster+Tag/Fünfte+Geschichte

James H. Beck: Die Malerei der italienischen Renaissance. Köln 1999, S. 190.

Peter Burke: Die europäische Renaissance. Zentren und Peripherien. München 1998.

Barbara Deimling: Sandro Botticelli. Köln 1999.

Hellmut Diwald: Anspruch auf Mündigkeit um 1400 – 1555. (Propyläen-Geschichte Europas, Bd. 1). Frankfurt a. M./Berlin/Wien 1982. S. 96.

Simone Ferrari: Das Geschenk der Malerei: Die schönsten Bilder von Giotto bis Goya, Köln 2004.

Eugenio Garin: Geschichte und Dokumente der abendländischen Pädagogik II: Humanismus. Hamburg 1966.

Kurt Flasch: Das philosophische Denken im Mittelalter. Von Augustin zu Machiavelli. Stuttgart 1988.

Erich Meuthen: Das 15, Jahrhundert. oldenbourg-Grundriss der Geschichte, Bd. 9. 2. ergänzte Aufl. München 1984.

Ulrich Muhlack: Renaissance und Humanismus. (Enzyklopädie Deutscher Geschichte, Bd. 93) Berlin/Boston 2017.

Neue Zürcher Zeitung: Artikel „Renaissance in Mailand“ vom

Ulrich Rehm: Botticelli: Der Maler und die Medici. Eine Biographie. Stuttgart 2009.

Marc Reichwein: Die fragwürdige Papstpracht im Rom der Renaissance. Online auf den Seiten von welt.de unter: https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article160516660/Die-fragwuerdige-Papstpracht-im-Rom-der-Renaissance.html (vom 22.12.2016, abgerufen am 28.12.2021).

Bernd Roeck: Der Morgen der Welt. Geschichte der Renaissance. München 2017.

Andreas Tönnesmann: Die Kunst der Renaissance, München 2007.

Manfred Wundram: Kunst-Epochen Band 6: Renaissance, Ditzingen 2019.

Zöllner, Frank: Leon Battista Albertis „De pictura“ – Die kunsttheoretische und literarische Legitimierung von Affektübertragung und Kunstgenuss. Originalveröffentlichung in: Georges-Bloch-Jahrbuch des Kunstgeschichtlichen Seminars der Universität Zürich, 4 (1997), S. 23-39, S. 24 (abgerufen unter: http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/4436/1/Zoellner_Leon_Battista_Albertis_1997.pdf am 19.04.2020)