Eine kleine Geschichte sehr kleiner Menschen, Teil 2: Erdmännlein oder Zwerge in der Frühen Neuzeit (16. – 18. Jahrhundert)
Die Erdmännlein des Grafen von Zimmern
„Dieselbigen erdenmendle haben nit allain in selbiger gegne (=Gegend), sonder auch in andern landen deutscher nation gewonet und sich also bei den mentschen vilfältigclichen erzaigt und denen, wover man sich anders recht und gepürlich (=gebührlich) gegen inen gehalten, vil dienstbarkait und guetatten bewisen“, schrieb Mitte des 16. Jahrhunderts Graf Froben Christoph von Zimmern (1519-1566) in seiner Chronik der Grafen von Zimmern (Südwestdeutschland, zwischen Stuttgart und Freiburg im Breisgau). Sie reicht von 1288 bis 1566 (teilweise wird auch 1558 als Endjahr erwähnt).
Erdenmendle oder Erdmännlein – darunter verstanden die Menschen des 16. Jahrhunderts ungewöhnlich kleine Menschen: Zwerge. Auch die weibliche Form, das Erdweibchen, sowie die Begriffe „Wicht“ oder „Erdwicht“ finden sich in Sagen und Erzählungen. Diese Wesen waren für viele Zeitgenossen Realität, doch gab es durchaus auch Zweifel an ihrer Existenz.
Nachfolgend werden die Erdmännlein oder Zwerge vorgestellt, wie sie die Chronik der Grafen von Zimmern beschreiben, und in einen breiteren historischen Kontext gestellt.
Erdmännlein oder Zwerge – die Quellen der Chronik
Graf Froben Christoph von Zimmern betont, dass er selbst nie ein Erdmännlein gesehen hat (S. 131), aber sowohl alte „historias“ als auch neuere Berichte von glaubwürdigen und ehrlichen Leuten zeigten auf, dass es diese Wesen geben müsse: So existierten Berichte aus der Antike, wie z.B. von Belinus. Bei Belinus handelte es sich wohl um Apollonius von Tyana handelt, einem griechischen Philosophen, der um die erste Jahrhundertwende nach Christi lebte. (Um wen es sich im gleichen Atemzug genannten Behencater handelt, ist mir nicht bekannt.) Zudem führt Froben Christoph nicht näher bezeichnete „alte deutsche, französische und gallische historias“, sowohl christliche als auch heidnische Bücher (S. 131), an.
Weitere Belege sind Erzählungen aus der Zeit oder der unmittelbaren Vergangenheit des Schreibers, räumlich z.T. nicht allzu weit entfernt: aus Stuttgart, aus Rottenburg am Neckar, aus Herrenzimmern, lange Zeit der Hauptsitz des Adelsgeschlechts Zimmern.
Wesen und Aussehen der Zimmer’schen Erdmännlein
Während sie für uns lediglich „Märchengestalten“ sind, sahen viele Menschen der Frühen Neuzeit die Erdmännlein als Realität an. Froben Christoph von Zimmern nennt verschiedene Meinungen über ihr Wesen: Sie seien
- „Menschen, die vor Jahren verflucht wurden und auf Erlösung durch die Menschen hoffen“,
- „in Tiere verzauberte Menschen“, die ihre Gestalt nach einer Zeit wieder erlangt hätten (nach alten Historien),
- „Geister von Engeln (…), die vor dem Fall Adams verstoßen worden seien“ (nach der Heiligen Schrift sowie christliche und heidnische Bücher),
- sündige Engel, die nicht derart schwerwiegende Vergehen begangen hätten wie die Engel, für die es keine Hoffnung mehr gebe und die in die Hölle müssten (Kabbalisten und die Philosophen Belinus und Behenceter).
Erdmännlein wurden also zumeist als Wesen zwischen Gut und Böse beschrieben: Wesen, die etwas Böses verübt haben und durch gute Taten sich aus ihrer Verdammnis zu befreien suchten. Dementsprechend traten sie auch auf: Sie verübten, so von Zimmern, viele gute Dienste, halfen in Backstuben und als Knechte, stellten wundersam brauchbare Dinge her. Sie zeigen sich denen erkenntlich, die sich ihnen gegenüber „richtig und gebührlich“ benehmen.
Im „Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens“ werden hingegen auch eine Reihe schlechter Eigenschaften dieser Wesen erwähnt: Sie seien als Kinderschreck unterwegs (Schweiz), ihr Erscheinen bringe Unglück (Oldenburg), sie stehlen und melken heimlich Kühe (Oberpfalz), stiften Unfrieden usw. „Diese Leute waren sehr klein und hübsch und standen mit den Haslern in freundschaftlichem Verkehr. Manchmal aber nahmen sie auch den Bauern auf dem Feld Brot und Kuchen weg und legten dafür Steine aus ihrer Höhle hinzu, welche ganz das Ansehen von Gebäck hatten“, heißt es in einer schwäbischen Sage (Quelle: Sagen aus Schwaben – Erdleute von Hasel, im Projekt Gutenberg). Dieses Bild zeigt sich auch schon in mittelalterlichen Schriften: Dem Zwerg als treuen Diener steht der hinterlistige, tückische Zwerg zur Seite.
Über das Aussehen verraten von Zimmers Beispiele nichts. Andere Quellen sprechen von Wesen, die so groß sind wie vier- bis achtjährige Kinder, die in Erdlöchern oder -höhlen wohnen. Oft haben sie einen langen weißen Bart und/oder langes wallendes Haar und sind mit körperlichen Eigentümlichkeiten ausgestattet, z.B. Gänse- oder Entenfüßen.
Graf Froben Christoph von Zimmern selbst hat noch kein Erdmännlein zu Gesicht bekommen – und bemerkt zudem, dass diese Wesen zu seiner Zeit komplett verschwunden seien: „Das macht, weil alle Gottesfurcht dahin ist, dafür aber die große Ueppigkeit in der Welt überhandgenommen hat, zudem sind alle Hauptlaster und Untreue samt der übergroßen Gotteslästerung so gar in Schwang, daß wenig Besserung bei und zu erhoffen.“ Was meinte der Autor damit? Vielleicht dass diese Wesen, die laut eigener Aussage zwischen Gut und Böse standen und auf Erlösung hofften, gemerkt haben, dass die (nun sehr) sündigen Menschen ihnen jegliche Hoffnung genommen hätten?
Zwei bereits im Mittelalter „übliche“ Sachverhalte spiegeln sich hier wider: 1. Wenn von Zwergen die Rede war, waren dies meist Geschichten aus der Vergangenheit. Es war von Orten die Rede, die vor mehr oder weniger langer Zeit von Zwergen bewohnt waren – „worauf häufig eine Mitteilung über ihre Abwanderung folgt“ (Tarantul: Elfen, Zwerge und Riesen, Frankfurt a.M. 2001, S. 160). Die Abwanderung wiederum (und damit 2.) geschah meist aufgrund eines Konflikts mit den Menschen.
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Literatur und Quellen (Auswahl):
- Wappen, Becher, Liebesspiel. Die Chronik der Grafen von Zimmern 1288-1566. Auswahl und Einführung von Johannes Bühler. Frankfurt a.M. 1940.
- Bächthold-Stäubli, Hanns: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Berlin/Augsburg 2000 (Originalausgabe 1927ff.).
- Tarantul, Evgen: Elfen, Zwerge und Riesen. Untersuchung zur Vorstellungswelt germanischer Völker im Mittelalter. Frankfurt a.M. 2001.
Links
- Projekt Gutenberg: Legenden und Sagen
Eine Vielzahl von Legenden und Sagen von unbekannten Verfassern bis zu den Gebrüdern Grimm bietet das Projekt Gutenberg
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