Der Reichstag zu Worms – Luther und der Kaiser
Martin Luther präsentiert sich und seine Ansichten vor Karl V., den Kurfürsten und den Reichsständen
(Martin Luther nach der Veröffentlichung seiner Thesen, Teil 3; zur Übersicht)

Luther auf dem Reichstag zu Worms; Kolorierter Holzschnitt von 1556. (Wikimedia commons, public domain)
Martin Luther und der sächsische Kurfürst Friedrich III. (1463–1525), später „der Weise“ genannt, die Kurfürsten und Reichsstände sowie Kaiser Karl V. (1500–1558) – das waren die entscheidenden Protagonisten der folgenden Dispute rund um den Wormser Reichstag (Januar 1521 bis Mai 1521), die nun kurz vorgestellt werden: Der spätere Kaiser Karl V. war ein Enkel des Habsburger Kaisers Maximilian I. (1459–1519) und des aragonischen Königs Ferdinand (genannt „der Katholische“, 1452–1516). Karls Eltern Karls waren Philipp I. von Kastilien (genannt „der Schöne“, 1468–1506) aus dem Hause Habsburg, der noch vor dem Großvater starb, und Johanna I. von Kastilien (1479–1555), die dann gemeinsam mit ihrem Sohn Karl als Königin und König von Spanien regierte. Karl wurde 1519 zum römisch-deutschen König, 1530 vom Papst zum Kaiser gewählt.
Karl V. war also noch sehr jung, als er mit den Anfängen der Reformation konfrontiert wurde. Als Herrscher eines großen Reiches musste er sich des Rückhalts der sogenannten Reichsstände sicher sein, die im Reichstag stimmberechtigt waren – vor allem der Kurfürsten, die auch als „Säulen des Reichs“ bezeichnet wurden (vgl. Gotthardt: Das Alte Reich, 5. Aufl., 2013, S 13). Das waren drei geistliche und vier weltliche Fürsten:
- der Mainzer Erzbischof. Seit 1514 war dies Albrecht von Brandenburg (1490-1545), der den Ablasshandel förderte und damit ein Gegenspieler Luthers war;
- der Kölner Erzbischof Hermann von Wied (1477–1552), der die Anfänge der Reformation ablehnte, später allerdings Köln reformieren wollte;
- der Trierer Erzbischof Richard von Greiffenklau zu Vollrads (1467–1531), dessen Land Kurtrier kaum von der Reformation betroffen war;
- Ludwig V. von der Pfalz, genannt der „Friedfertige“, (1478–1544) aus der Familie der Wittelsbacher – „friedfertig“ passt auch bezüglich der reformatorischen Strömungen: Ludwig blieb bis zu seinem Tod Anhänger der alten Kirche, war dem Neuen aber nicht komplett abgeneigt;
- Friedrich der Weise von Sachsen (1463–1525) aus dem Hause der Wettiner. Er stellte sich hinter Martin Luther, u.a. indem er sich weigerte, das von Rom im Jahre 1518 gefällte Ketzerurteil gegen Luther anzuerkennen;
- der Markgraf von Brandenburg, der Hohenzoller Joachim I. Nestor (1484–1535), der sich als ein nachdrücklicher Gegner der Reformation zeigte, sowie
- der böhmische König Ludwig II. (1506–1526), ein Habsburger, der lediglich bei der Königswahl mitwirkte und ansonsten keine Einflussmöglichkeiten auf die Reichspolitik hatte.

Bildnis Kaiser Karls V. (1533) von Lucas Cranach dem Älteren (Wikimedia commons, public domain)
„(…) von Währungsproblemen bis hin zu solchen der inneren Ruhe und Rechtswahrung, von Handel und Wandel bis hin zu Krieg und Frieden“ (Gotthardt: Das Alte Reich, 5. Aufl., 2013, S 19) – der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches musste sich mit vielen Personen arrangieren. Neben den genannten Kurfürsten waren dies noch ca. 300 regionale weltliche und geistliche Herrschaftsträger. Hinzu kamen noch die sich abzeichnenden Probleme durch ein drohendes Auseinanderbrechen der Kirche hinzu: „Die causa Lutheri war (…) bereits eine hochpolitische Reichsangelegenheit, als der Reformator in Wittenberg noch seiner schriftstellerischen Arbeit nachging und die Bannandrohungsbulle am Elster Tor den Flammen übergab.“ (Schilling: Martin Luther, 2012, S. 203)
Dass die causa Lutheri auf dem Reichstag in Worms besprochen werden sollte, war ungewöhnlich. Das Reichsrecht sah eigentlich vor, dass ein Kirchenurteil ohne Diskussion oder Verhandlungen vollstreckt werden müsse. Thomas Kaufmann sieht darin ein „Ergebnis komplexer diplomatischer Aktionen“ (Erlöste und Verdammte, 2016, S. 129).
Der Kaiser wusste von der Bulle, wird allerdings auch wahrgenommen haben, dass unter den Reichsständen auch eine recht deutliche Stimmung gegen die Kirche in Rom herrschte (Schilling: Martin Luther, 2012, S. 204). Dies bedeutete allerdings nicht automatisch eine Zustimmung zu Luthers Ansichten. Ansehen beim Kaiser und bei den Habsburgern insgesamt pflegte v.a. der Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen (1463–1525), der Martin Luther „gegen die als unbillig empfundene Verurteilung durch die Kurie in Schutz“ (Schilling: Martin Luther, 2012, S. 203) nahm. Tatsächlich sicherte Karl dem Kursachsen Friedrich schon im Oktober 1520 zu, „Luther nicht ohne eigenes Verhör zu verurteilen“ (Leppin: Martin Luther, 3. Aufl., 2017, S. 171) und sicherte ihm schließlich freies Geleit für die Reise nach Worms, zum Reichstag, der zu. Die zweiwöchige Reise war für Luther offenbar ein großes Erlebnis: An seinen einzelnen Stationen wurde er feierlich empfangen, seine Reden bejubelt.

Friedrich der Weise von Sachsen, Holzschnitt von Lucas Cranach d.Ä. von 1510 aus der Sammlung Hofbauer (Wikimedia commons, public domain)
Friedrich der Weise ersehnte sich, dass der Wittenberger Professor den Kaiser mit einer überzeugenden Rede milde stimmen würde – und auch Luther selbst setzte seine Hoffnungen auf eine ausführliche Rechtfertigung seiner Ansichten vor Karl V. Anfang April war es schließlich soweit: Luther und Karl trafen aufeinander – doch die Erwartungen erfüllten sich nicht. Bei seinem ersten Auftritt vor dem Kaiser wurde er lediglich gefragt, ob die auf einem Tisch liegenden Schriften von ihm stammten und ob er bereit zu widerrufen (siehe Leppin: Martin Luther, 3. Aufl., 2017, S. 171 und Schilling: Martin Luther, 2012, S. 219). Das brachte Luther wohl aus dem Konzept, er wirkte unsicher und verlangte nach einer Bedenkzeit, die ihm bis zum Nachmittag des folgenden Tages eingeräumt wurde.
Am zweiten Tag machte er einen deutlich aufgeräumteren Eindruck, zeigte sich souverän und selbstsicher. Im Saal hatten sich auch einfache Leute eingefunden, die sich begeistert zeigten von seiner Rede. Und Luther konnte auch viele Personen aus den Reichsständen begeistern, wenn auch nicht alle überzeugen. Seine Rede gilt als „Schlüsseltext des Protestantismus“ (Schilling: Martin Luther, 2012, S. 219): „In Mitteleuropa löste Luthers Wormser Rede eine gewaltige Welle begeisterter Zustimmung aus, die in eine rasche Ausbreitung und organisatorische Verfestigung der Reformation einmündete.“ (Schilling: Martin Luther, 2012, S. 233) Es war „etwas Bedeutendes, Exemplarisches geschehen“ (Kaufmann: Erlöste und Verdammte, 2016, S. 131), das sich in der Formel „Ich kann nicht anderst, hie stehe ich, Gott helff mir, Amen“ (ebd., S. 131) manifestierte – eine Redewendung, die Luther wohl gar nicht so aussprach. Tatsächlich waren es „Lektoren in Luthers Hausoffizien“, die seine Rede „rhetorisch genial zuspitzten und erweiterten“ (nach Schilling: Martin Luther, 2012, S. 223)
Doch auch der Kaiser wusste zu überzeugen: Seine Frömmigkeit und seine Aufforderung an die alte Kirche, die Missstände auszumerzen, verfehlten ihre Wirkung nicht: Es soll Fürsten gegeben haben, die nach der Rede Luthers wankten, durch die Worte des Kaisers jedoch dem alten Glauben treu blieben. (Schilling: Martin Luther, 2012, S. 228)
Nach einigen Nachverhandlungen sprach Kaiser Karl V. schließlich die Reichsacht aus – gegen den Willen der meisten Reichsstände. Martin Luther war nun „vogelfrei“, d.h. er hatte fortan keinerlei Rechte mehr. Jedermann hätte ihn ohne Rechtsfolgen angreifen, berauben, töten können. Doch zu diesem Zeitpunkt war Luther längst auf der Wartburg in Sicherheit. Das entscheidende Edikt kam allerdings nicht in Kursachsen an und hatte demnach dort keine Gültigkeit. Ein Zufall? Eher nicht: Wahrscheinlich gab eine geheime Vereinbarung zwischen den Habsburgern und den Kursachsen, dass Luther um sein Leben nicht fürchten sollte.
Verwendete Literatur
Erwin Iserloh: Geschichte und Theologie der Reformation im Grundriss. Paderborn 1980.
Thomas Kaufmann: Erlöste und Verdammte. Eine Geschichte der Reformation. München 2016.
Harm Klueting: Das Konfessionelle Zeitalter. Europa zwischen Mittelalter und Moderne. 480 S. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2015.
Volker Leppin: Martin Luther. 3., durchgesehene und aktualisierte Auflage. Darmstadt 2017.
Heinz Schilling: Martin Luther. Rebell in einer Zeit des Umbruchs. 728 S. C.H. Beck 2012.
Helga Schnabel-Schüle: Die Reformation 1495-1555. Politik mit Theologie und Religion. Stuttgart 2006.
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