Martin Luther im Jahr 1520: Drei wegweisende Schriften
„An den christlichen Adel deutscher Nation“, „Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche“ und „Von der Freiheit eines Christenmenschen“
(Martin Luther nach der Veröffentlichung seiner Thesen, Teil 2; zur Übersicht)
Im Nachgang der Leipziger Disputation setzte sich Johannes Eck (s. Teil 1) dafür ein den im Juli 1518 eröffneten Ketzerprozess gegen Luther fortzusetzen. Im August und im November 1519 fällten die theologischen Fakultäten in Köln und Löwen ihre Häretiker-Urteile über Luther und tatsächlich wurde in Rom der Prozess gegen Luther wiederaufgenommen. Er reagierte mit eifriger Schreiberei – vielleicht, um sich mit der Aufarbeitung einzelner Themen selbst zu vergewissern, dass er „richtig liegt“, vielleicht, weil er nun noch einmal stärker das Gefühl hatte, sich verteidigen zu müssen. Drei Schriften werden nachfolgend kurz vorgestellt:

Erste Seite von Luthers Schrift An den christlichen Adel deutscher Nation (Quelle: Google Books)
In seinem im August 1520 verfassten Werk „An den christlichen Adel deutscher Nation“ richtete sich Luther an die deutschen Fürsten und den Kaiser – und führte ihnen Punkt für Punkt vor Augen, was an der derzeitigen Kirche geändert werden müsse. Er kritisierte das Finanzgebaren der Kirche, ihre Machtausübung bei der Besetzung kirchlicher Stellen in den deutschen Gebieten, den auferlegten Zölibat der Pfarrer, die Macht des Papstes auch über Dinge, die dem Kaiser gebührten. Zudem bestritt er, dass Papst oder Konzilien den Gläubigen übergeordnet seien. Vielmehr sprach er vom allgemeinen Priestertum: Jeder Gläubige sei durch die Taufe ein Priester.
Gegen Ende der Schrift ging er kurz auf die Aufgaben der weltlichen Obrigkeiten ein: „Mit den Bereichen Ehe und Familie, Unterricht und Erziehung einschließlich einer umfassenden Universitätsreform sowie Armenfürsorge beschrieb Luther bereits 1520 diejenigen Bereiche, die spätestens nach 1555 zum festen Aufgabenbereich der weltlichen Obrigkeiten gehörten.“ (Schnabel-Schüle: Die Reformation, 2006, S. 95)

Erste Seite von Luthers Schrift „De captivitate Babylonica ecclesiae“ (Google Books)
„Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche“ (Oktober 1520) verfasste Luther in lateinscher Sprache, um Theologen und Gelehrte sowie ggf. Menschen, die der deutschen Sprache nicht mächtig waren, anzusprechen. Inhaltlich setzte sich Luther in dieser Schrift mit der Lehre der Sakramente auseinander und erkannte letztlich nur zwei, nämlich die Taufe und das Abendmahl, an. Bei der Beichte war er zunächst unsicher, Firmung, Ehe, Priesterweihe und Letzter Ölung gestand er keinen Sakramentscharakter zu. „Es war also eben der Bereich berührt, der zentral für die Vermittlung des Heils durch die Priester an die Gläubigen war und der der Frömmigkeit in einem hohen Maße Halt gab, da sich in den Sakramenten in erkennbarer Weise die Nähe Gottes materialisierte.“ (Leppin: Martin Luther, 3. Aufl., 2017, S. 158)
Auch das alte Verständnis der Messe lehnte er ab. Die Messe bzw. das Abendmahl seien nicht als eine Art Opfer für Gott (Schnabel-Schüle: Die Reformation, 2006, S. 96) zu verstehen, da sonst „aus dem Geschenk Christi eine Gabe des Menschen an Gott“ würde (Iserloh: Geschichte und Theologie der Reformation, 1980, S. 39). (Zu Luthers Gedanken über die „im gesamten Mittelalter gültigen Definition des Augustin, ein Sakrament sei res und signum, Sache und Zeichen“ siehe Leppin: Martin Luther, 3. Aufl., 2017, S. 159.)
Kurz: Gerade diese Inhalte dieser Schrift werden als Treffer ins Mark der römischen Kirche gewertet (Schnabel-Schüle: Die Reformation, 2006, S. 96), als Ziel Luthers ins „Herz der Priesterkirche“ bezeichnet. Nun wurde „vielen deutlich, dass Luther nicht die seit langem fällige Reform der Kirche brachte, sondern dass es in seinem Werk um grundlegende dogmatische Divergenzen ging.“ (Iserloh: Geschichte und Theologie der Reformation, 1980, S. 39)

Erste Seite von Luthers Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ (Google Books)
Als Luther „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ veröffentlichte (November 1520, zurückdatiert auf den September), war kurz zuvor die Bannandrohungsbulle des Papstes publiziert worden: „Exsurge Domine“ (dt. „Erhebe dich, Herr“). Diese wurde im Juni verabschiedet – und der päpstliche Gesandte Karl von Miltritz versuchte daraufhin, noch einen Konsens zwischen Luther und Papst Leo X. herbeizuführen. Luther sollte einen Brief an den Papst schreiben, darin „‘seine Geschichte‘ erzählen, die Schuld an dem Zerwürfnis mit Rom ausschließlich Eck anlasten und dem Papst einen Beweis seiner geistlichen Gesinnung liefern“ (Kaufmann: Erlöste und Verdammte, 2016, S. 126). Luther schrieb also seine berühmte Freiheitsschrift, in Latein und auf Deutsch und sandte sie, zusammen mit einem Anschreiben, an den Papst. Die Freiheitsschrift zeigte sich als ein Text ohne Polemik, vielmehr mit der Erklärung eines Freiheitsverständnisses, das der wahre Christ zwei Naturen habe, eine geistige und eine leibliche: So sei der Mensch Herr über alle Dinge, niemandem untertan, und er sei gleichzeitig ein Knecht aller Dinge. (Siehe Schnabel-Schüle: Die Reformation, 2006, S. 96.) Im Bauernkrieg wurde allerdings nur die erste „Losung“ zitiert und auf die Freiheit vor den Obrigkeiten bezogen.
Kurz und gut: Es blieb bei der Bulle und Luther sowie seine Mitstreiter sollten innerhalb von 60 Tagen ihre Lehren widerrufen. Für die Bekanntmachung der Bulle im Reich wurden Johannes Eck und Hieronymus Aleander (1480-1542), ein italienischer Humanist und Kardinal, benannt. Die Fronten waren abgesteckt: In Köln und Mainz wurden Ende 1520 Luthers Schriften verbrannt, Luther verbrannte im Gegenzug das päpstliche Rechtsbuch (die kanonischen Rechte) und die Bulle. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Verbrennen von Büchern nicht so negativ besetzt ist wie in unseren Zeiten. Und doch kann dieser Akt angesehen werden als „ein Fanal, das dem endgültigen Bruch mit der römischen Kirche gleichkam und den päpstlichen Bann durch die Bulle Decet Romanum Pontificem vom 3. Januar 1521 und damit seine Exkommunikation nach sich zog.“ (Klueting: Das konfessionelle Zeitalter, 2007, S. 155)
Verwendete Literatur
Erwin Iserloh: Geschichte und Theologie der Reformation im Grundriss. Paderborn 1980.
Thomas Kaufmann: Erlöste und Verdammte. Eine Geschichte der Reformation. München 2016.
Harm Klueting: Das Konfessionelle Zeitalter. Europa zwischen Mittelalter und Moderne. 480 S. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2015.
Volker Leppin: Martin Luther. 3., durchgesehene und aktualisierte Auflage. Darmstadt 2017.
Helga Schnabel-Schüle: Die Reformation 1495-1555. Politik mit Theologie und Religion. Stuttgart 2006.
zum nächsten Kapitel: Martin Luther auf dem Wormser Reichstag (in Kürze)