Wenn Finger den Blick führen: Wie wir Alte Meister wirklich sehen
Temenuzhka Dimovas Eyetracking-Studie aus dem CReA Lab der Universität Wien zeigt, dass die zeigenden Finger in Renaissance- und Barockgemälden mehr sind als bloße Pose: Sie funktionieren als visuelle Wegweiser, die gerade ungeübten Betrachtenden das Wesentliche nahebringen.
In kontrollierten Laborexperimenten sahen drei Gruppen — Lai:innen, Kunstgeschichte-Studierende und gehörlose Gebärdensprachnutzer:innen — je 16 Gemälde mit deiktischen Gesten; bei den Lai:innen wurden in einer Kontrollbedingung die Zeigegesten digital entfernt. Ergebnis: Schon eine halbe Sekunde Blick auf einen ausgestreckten Finger reicht, um die nachfolgenden Sehstrategien und die Bildinterpretation zu verändern.
Während Ungeübte stärker auf Gesichter und offensichtliche Bildelemente fokussieren und das Gesamtbild weniger explorativ erfassen, scannen Studierende und Gehörlose größere Bildflächen schneller und aufmerksamkeitsreicher — letztere offenbar durch ihre visuelle Schulung und räumliche Sprache der Gebärden.
Dimovas Projekt „Following the Festaiuolo: How Do Deictic Gestures in Painting Influence the Beholder’s Gaze?“, das bis Ende November 2025 läuft, liefert damit quantitative Daten, die jahrhundertealte kunsthistorische Annahmen stützen und zugleich konkrete Impulse für Museumsvermittlung und Ausstellungskonzeption geben: Mit wenigen gezielten Gesten lässt sich wahrnehmungsgesteuert erklären, was in einem Bild wirklich zählt.