Bauernkrieg: Memminger Bundesordnung und 12 Artikel
Was wollten die Bauern eigentlich? Was waren ihre Ziele? Und warum gerade jetzt?
(Teil 3 des Artikels „Geschichte des Bauernkriegs 1525“; zur Einleitung)

Bauernschaft. Höltzel-Verlag Nürnberg 1525 (Wikimedia Commons, gemeinfrei)
Eigentlich ging es den Bauern zu Beginn des 16. Jahrhunderts gar nicht so schlecht. „Zum Aufstand kam es während eines Wirtschaftsaufschwungs, nicht während einer Wirtschaftskrise; die Bevölkerungszahlen erholten sich nach der Pest, und die Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse stiegen wieder“ und „die Ernten [waren] in der Regel gut“, schreibt Lyndal Roper (Für die Freiheit, 2024, S. 73 und 76). Auch die Macht der Herrschenden mitsamt den Abgaben und Diensten, die die Bauern zu leisten hatten, waren in Teilen des Reichs größer bzw. höher, in denen es keine Bauernaufstände gab (ebd., S. 75). Die Leibeigenschaft, in großen Teilen Deutschlands bereits abgeschafft, existierte im Südwesten noch am ehesten, stellte jedoch nicht mehr „das“ große Problem dar. Was also führte zu den Aufständen der Bauern?
Antworten darauf liefern zwei der bekanntesten und folgenreichsten Dokumente des Bauernkriegs: die „Memminger Bundesordnung“ und die „12 Artikel“. Sie bieten eine gute Zusammenfassung der vielen Beschwerden, die die Bauern in den vorangegangenen Monaten vorgebracht hatten. Die damals 5.000 Einwohner zählende und damit relativ große Stadt Memmingen in Oberschwaben zeigte sich bereits der Reformation zugeneigt, was vornehmlich an dem Prediger Christoph Schappeler (um 1472- 1551) lag. Er war mit Huldrych Zwingli (1484-1531), dem Schweizer Theologen und seit 1519 Zürcher Reformator, befreundet – und wurde 1513 als Prädikant an die Memminger Hauptpfarrkirche St. Martin berufen.1521 „näherte“ sich die Reformation der Stadt, offiziell stimmte der Stadtrat hingegen erst Anfang 1525 der Reformation zu. Vorausgegangen war eine Disputation, in der Schappeler darlegte, dass es für das Erheben des Zehnten keine biblische Grundlage gebe. Zur selben Zeit verweigerten einige Bauern des Umlandes den Zehnten, es kam zu weiteren Auflehnungen der Bauern. Wohl Ende Februar verfasste der Kürschner und Laientheologe Sebastian Lotzer (1490-1525), ein Freund Schappelers, ein Beschwerde-Schriftstück für die Bauern, das sich wie ein Vorläufer der 12 Artikel liest. (Schwerhoff: Der Bauernkrieg, 2024, S. 133 f.)
Anfang März 1525 trafen sich in Memmingen die Gesandten dreier Haufen – des Baltringer, des Allgäuer und des Bodensee-Haufens – und verabschiedeten die Memminger Bundesordnung. Diese Schrift bezeichnete der Frühe-Neuzeit-Historiker Peter Blicke (gestorben 2017) als „ersten vagen Versuch eines Verfassungsentwurfs“ (Die Revolution von 1525, 2004, S. 154). Auf der Grundlage dieser Ordnung bildeten sie die sogenannte „Christliche Vereinigung“.
Der Text der Bundesordnung bleibt mir an einigen Stellen unklar. Thomas Kaufmann, evangelischer Theologe und Kirchenhistoriker, geht in seinem 2024 erschienenen Buch über den Bauernkrieg (Der Bauernkrieg, 2024, S. 165 ff.) näher auf die einzelnen Punkte ein. Gemeinsam mit zwei Bundesordnungs-Texten „in heutigem Deutsch“ (s.u.: Quellen) komme ich zu folgenden Aussagen:
Es ging in der Bundesordnung um
(1) die Bewahrung von Ordnung und Frieden: Den Obrigkeiten sollte Gehorsam geleistet werden;
(2) die Einhaltung eines allgemeinen Landfriedens: Keiner sollte seinem Mitmenschen Unrechtmäßiges antun. Bei „Krieg und aufrur“ sollten sich keine „rotten oder parteien“ bilden. Es ging hier um „nichts weniger als die Etablierung einer umfassenden Landfriedensordnung für ihren Einzugsbereich“ (Schwerhoff: Der Bauernkrieg, 2024, S. 138);
(3) die Frage, wie mit vertraglich gesicherten Schulden und Abgaben umgegangen werden sollte. Bei Unklarheiten sollte die Zahlung ggf. ausgesetzt werden können;
(4) die Ausstattung der Schlösser und Klöster: keine Geschütze, lediglich die nötigen Proviantvorräte und als Dienstleute nur Personen, die der Christlichen Vereinigung angehören;
(5) das Gebunden-Sein der Dienstleute: Sie sollten ihren Eid, ihre rechtliche Bindung an den Dienstherrn, aufgeben und sich der Christlichen Vereinigung anschließen können. Sollte jemand von ihnen vom Dienstherrn vorgeladen werden, dürfe er zwei oder drei Personen mitnehmen;
(6) die Geistlichen („Pfarrer oder Vicari“), ihre erste Pflicht (die Verkündigung des Evangeliums – und das bedeutete, die alte Kirche abzulehnen und evangelisch zu predigen) und ihre angemessene Entlohnung, aber ggf. auch die Möglichkeit, einen Geistlichen fortzuschicken;
(7) das Abschließen von Verträgen mit der Obrigkeit, die der Zustimmung der Christlichen Vereinigung bedürfen;
(8) die Organisationsstruktur der Christlichen Vereinigung: Jeder Haufen sollte einen Obersten benennen und vier Räte bestimmen;
(9) Raubgut, das „nicht unter den Schutz der ‚christlichen Vereinigung‘ gestellt werden“ sollte (Kaufmann: Der Bauernkrieg, 2024, S. 167);
(10) das Verhalten von Personen, die das Gebiet der Bundesordnung und der Christlichen Vereinigung verlassen: Sie sollten sich weiter mit der Vereinigung verbunden fühlen und diese warnen, wenn sie eine Gefahr witterten;
(11) die Weiterführung von „Gericht und Recht“;
(12) das Verbot von Unsittlichkeit, Gotteslästerung und Betrinken.
Laut Thomas Kaufmann (Der Bauernkrieg, 2024, S. 164 f.) gab es zwei grundlegende Fassungen: eine etwas kürzere (siehe zuvor) und eine spätere Fassung, die die letzten beiden Punkte zusammenfasste und einen weiteren hinzufügte: „Er untersagt bis auf Weiteres jede gewaltsame Erhebung gegen die Obrigkeiten. Sodann war der zweiten Druckfassung der Bundesordnung eine Instruktion beigefügt, die auf eine gütliche Einigung mit dem Schwäbischen Bund abzielte.“
Dass man bei zwölf Punkten bleiben wollte und nicht einfach einen dreizehnten hinzufügte, lag selbstredend an der Bedeutung der Zahl 12: Sie ist das Produkt der Zahlen 3 (Stichwort „Dreifaltigkeit“) und 4 (die vier Himmelsrichtungen) und steht damit für die Verbindung von Himmel und Erde. Im Alten Testament ist sie die Zahl der Stämme Israels, der Apostel, der heiligen, himmlischen Stadt Jerusalem (das „Neue Jerusalem“ der Offenbarung) mit ihren zwölf Toren (vier Seiten der Stadt mit jeweils drei Toren), auf denen zwölf Engel stehen, und so weiter.
Zur gleichen Zeit entstand in Memmingen die Schrift der „12 Artikel“, die als Flugblatt ca. 25.000-mal abgedruckt und verteilt wurde – für die damalige Zeit eine riesige „Auflage“. Sehr wahrscheinlich stammten die Artikel wiederum von Sebastian Lotzer. Während die Bundesordnung mit einer Namensliste, allen voran Martin Luther und Philipp Melanchthon, als Legitimation schließt – so, als hätten die in Memmingen tätigen Anführer „den Segen“ oder Auftrag von ihnen –, so vermerkte Lotzer neben jedem Artikel zumeist mehrere Bibelstellen. Allerdings sind diese biblischen Belege laut Schwerhoff (Der Bauernkrieg, 2024, S. 148) nicht oder nicht immer aussagekräftig.
Inhalt der 12 Artikel:
Der erste Artikel verlangt das Recht der einzelnen Gemeinde, „ihren“ Pfarrer zu wählen und gegebenenfalls auch wieder zu entlassen. Dieser solle, ähnlich wie in Punkt 6 der Bundesordnung, das Evangelium predigen: „one allen menschlichen zu(o)satz“ (dieses Zitat und folgende stammen aus einer Quelle des Stadtarchivs Memmingen.) Beim Thema „Entlassung des Pfarrers“ wird u.a. die Bibelstelle 1. Timotheus 5 erwähnt. Meiner Einschätzung nach könnte dabei der Vers 20 gemeint sein: „Diejenigen (Ältesten), die sich verfehlen, weise in Gegenwart aller zurecht, damit auch die anderen sich fürchten!“
Im zweiten Artikel geht es um die Bezahlung des Pfarrers über den großen Zehnt (u.a. Getreide), während der kleine Zehnt (u.a. Kleinvieh) generell abgelehnt wird – denn „der herr (hat) das vich frey dem menschen beschaffen“ – siehe 1. Mose 1,26.
„Frei sein“ – eine der zentralen Forderungen der Bauern in den Jahren 1524 und 1525! Der dritte Artikel geht dabei geschickt vor: Christus hat für alle Menschen sein Leben gegeben, den „Hyrtten gleych alls wol alls Den höchsten / kain auß genommen“. Das hieße jedoch nicht, dass die Bauern keine Obrigkeit mehr anerkennen wollten – in „allen zimlichen vnd Christlichen sachen“ sei dies in Ordnung. Doch ohne Zweifel würden die Herrschenden sie sicherlich gerne aus der Leibeigenschaft entlassen, sofern es keine gegenteiligen Beweise aus dem Evangelium gäbe. Hierzu wird 1. Petrus 2 angeführt, siehe v.a. die Verse 11 bis 17.
Gemäß dem Worte Gottes sei es zudem jedem freigestellt, Wild, Geflügel und Fisch zu fangen, so der vierte Artikel.
Ähnliches gelte laut Artikel 5 für das Holz, also für die Nutzung der Wälder für den eigenen Gebrauch.
Die Artikel 6 bis 8 drehen sich um die Dienste und Abgaben, die für viele in dem bestehenden Ausmaß kaum noch zu leisten seien. Sie sollten so gestaltet werden, dass die Bauern ihren eigenen Aufgaben und Arbeiten gut nachkommen könnten. Verwiesen wird hier beispielsweise auf das Evangelium des Lukas, Kapitel 10: Die Zöllner sollten nicht mehr verlangen, als festgesetzt ist (Verse 12 und 13), und die Soldaten sollten sich mit ihrem Sold begnügen und niemanden erpressen.
Im neunten Artikel beklagen die Bauern eine gewisse Willkür bei Gerichtsurteilen. Gefordert wird, dass nach „alter geschribner straff“ geurteilt werde, „vnd nit nach gunst“.
Artikel 10 verlangt, dass Wiesen und Äcker, die einst der Gemeinde gehörten, dann aber von anderen in Besitz genommen wurden, den Gemeindemitgliedern wieder zurückgegeben werden sollten.
Im elften Artikel wird noch einmal die Leibeigenschaft (siehe Artikel 3) thematisiert: Stirbt ein Leibeigener, sollen künftig nur noch die Witwe und die Nachkommen erben und nicht zusätzlich der Eigenherr.
Der letzte Artikel betont, dass bei Widerlegung eines Artikels durch die Heilige Schrift dieser nicht mehr gültig sein solle.
Die Forderungen der Bauern drehten sich also um theologische Fragen – das Evangelium sollte gepredigt werden – und in diesem Zusammenhang auch um rechtliche Aspekte: Die Bauern sollten den Prediger ein- und absetzen können. Zudem sollte das, was Gott den Menschen gegeben hat, allen gehören. Dies betraf die Nutzung des gemeinen Landes, der Wälder, der Flüsse und der Tiere. Dienste und Abgaben waren den Bauern in vielen Fällen zu viel geworden und sie erkannten eine gewisse Willkür in den Urteilen, wenn sie gewisse Rechte einklagten. Die Leibeigenschaft oder einzelne Überreste davon sollten abgeschafft werden.
Laut Lyndal Roper (Für die Freiheit, 2024, S. 159) hat der Autor der 12 Artikel, Sebastian Lotzer, „Hunderte örtlicher Beschwerden“ als Grundlage für seine Schrift genutzt. Gerd Schwerhoff erwähnt in seinem Bauernkrieg-Buch u.a. folgende Artikel der Bauern:
- In Forchheim formulierten die Aufständischen im Vorfeld des Bauernkriegs (Frühjahr 2024) fünf Artikel: U.a. ging es um die deutliche Senkung des Zehnten; die Geistlichen sollten nicht länger steuerfrei wohnen, Tiere frei gejagt werden dürfen (Schwerhoff: Der Bauernkrieg, 2024, S. 60).
- 16 Artikel legten im November 2024 einige Vögte aus dem Brigachtal zunächst allein, dann in Begleitung ihrer jeweiligen Dorfgemeinschaft den Machthabenden der Stadt Villingen vor. Unter ihnen befand sich der in dem Kapitel „Beginn des Bauernkriegs“ erwähnte Hans Müller von Bulgenbach. In den Artikeln ging es um Jagd- und Waffenrechte, zu hohe Abgaben, zu viele Frondienste sowie um die Ausübung des Rechts durch die Herrschenden (ebd., S. 90).
- Über Obergünzburg berichtet Schwerhoff (S. 109), dass es im Januar 1525 Beschwerden über die „massenhaffte und gewaltsame Änderungen des Status von ‚Freizinsern‘ zu Leibeigenen“.
Dass sich gerade jetzt die Bauern – um 1524/25, als es ihnen in Deutschland, wie oben erwähnt, gar nicht so schlecht ging – zu großen Protesten und Aufständen zusammentaten, hatte seine Ursachen sicherlich auch in den Vorkommnissen rund um die Reformatoren: Sie waren den Obrigkeiten mutig entgegengetreten, hatten sich erfolgreich gegen alte Strukturen und Grundsätze zur Wehr gesetzt – allen voran Martin Luther und Andreas Karlstadt, im Laufe des Bauernkriegs zunehmend auch Thomas Müntzer.
Zudem standen ihre Ideen und Lehrmeinungen dem „gemeinen Mann“ schlicht näher: die Liturgie in deutscher Sprache, der Abendmahlskelch auch für die Laien – und vor allem der Begriff der „Freiheit“. Auch wenn die Auffassungen der Reformatoren teilweise andere Wege gingen – hatte die reformatorische „Freiheit“ für die Bauern nicht nur eine theologische oder geistige Funktion, sondern spielte besonders im sozialen Leben eine gewichtige Rolle. Sie forderten Freiheit von Leibeigenschaft sowie die Verringerung oder Abschaffung einzelner Dienste und Abgaben. Das Verhalten der Grundherren bezeichneten sie als unchristlich.
„Doch die Forderungen der Bauern nach Veränderungen gingen vielen unter den Reformatoren zu weit.“ (Roper: Für die Freiheit, 2024, S. 121) Luther wollte die „Wiederherstellung (re-formatio) eines früheren Idealzustandes der Kirche“ (Schwerhoff: Bauernkrieg, 2024, S. 44). Er kritisierte die alte Kirche, stellte sich gegen den Papst, den Ablass und gegen die Lehre von den guten Werken. Eine soziale Umwälzung der Gesellschaft hingegen ging ihm zu weit: In seiner Schrift „Wider die Mordischen vnd Reubischen Rotten der Bawren“ stellte er sich auf die Seite der Obrigkeiten und verlangte von den Fürsten gar die gewaltsame Niederschlagung der aufständischen Bauern. Vor Ort allerdings beteiligten sich viele evangelische Prediger an den Aufständen, an dem Krieg (Roper: Für die Freiheit, 2024, S. 121).
Quellen
Bundesordnung und 12 Artikel
- Zwölf Artikel und Bundesordnung der Bauern, Flugschrift „An die versamlung gemayner pawerschafft“. Traktate aus dem Bauernkrieg von 1525, übertragen von Christoph Engelhard, mit einer Einführung von Peter Blickle über Memmingens Rang in der Geschichte der Reformation (Materialien zur Memminger Stadtgeschichte, Reihe A Heft 2, Memmingen 2000)
Die Bundesordnung in heutigem Deutsch
- Oberschwaben-Portal: Die „Christliche Vereinigung“ der Bauern in Oberschwaben wird gegründet und gibt
sich eine Bundesordnung
Das Oberschwaben-Portal ist eine Website, die „Oberschwaben als Natur- und Kulturlandschaft präsentieren“ möchte. Geleitet wird sie von der „Gesellschaft Oberschwaben für Geschichte und Kultur e.V.“ und der Pädagogischen Hochschule Weingarten. - Jochen Teuffel: Bundesordnung der oberschwäbischen Bauern, verabschiedet am 7. März 1525 in Memmingen (in heutigem Deutsch)
Jochen Teuffel (* 1964 im Schwarzwald) ist ein deutscher Theologe, Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und Autor.