Beginn der Reformation: Martin Luthers „95 Thesen gegen den Ablass“ (1517)
Martin Luther (1483-1546) verfasste und veröffentlichte 1517, kurz vor seinem 34. Geburtstag, seine “95 Thesen gegen den Ablass”, eine Schrift, die oftmals als Startpunkt der Reformation angesehen wird. Sie richtete sich gegen die Ablasspraxis des Dominikanermönchs Johannes Tetzel im Auftrag Albrechts von Brandenburg, des Erzbischofs von Mainz und Landesherrn des Erzstifts Mainz.

Das Luther-Relief an der Marktkirche halle; Bild: Michael Schnell
Luther war der Sohn eines Vollbauers, also eines freien Bauern, der direkt dem Landesherrn unterstand. Sein Bildungsweg „war durchaus üblich“ (Schilling: Martin Luther, 2012, S. 66): Der Trivialschule mit der Erlernung sprachlicher Fertigkeiten, aber auch mit der Vermittlung religiöser Inhalte, folgten die Lateinschule und das Studium der Artes Liberales (der „sieben freien Künste“) mit dem Magister-Abschluss. Damit hatte Luther grundlegende Kenntnisse in den Fächern Grammatik, Rhetorik, Dialektik/Logik, Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie erlangt. Anschließend begann er ein Jurastudium, brach dieses allerdings nach einigen Wochen ab. Es war eine Zeit großer persönlicher Unsicherheiten, in der er schließlich ein Erlebnis hatte, das ihm große Angst und Schrecken bereitete: ein schweres Gewitter in offener Landschaft. „Hilff du, S. Anna, ich will ein monch werden!“, rief er aus (Schilling: Martin Luther, 2012, S. 77). Dieses Ereignis von 1505 wurde von vielen Historikern und Theologen besprochen und diskutiert: Zeugen der Begebenheit gab es nicht und Luther selbst berichtete davon erst über 30 Jahre später, als sein Mönchsleben längst Geschichte war.
Es folgten der Eintritt in den Orden der Augustiner-Eremiten 1505 in Erfurt, die Priesterweihe und die Aufnahme des Theologiestudiums. Im Oktober 1508 ging er nach Wittenberg, wo er 1512 seinen Doktortitel erlangte und bis zu seinem Tod als Theologieprofessor wirkte.
Doch nun zum Ablass: Dieser stellte einen Akt göttlicher Gnade dar, durch den die Kirche zeitliche Sündenstrafen erlassen konnte. Obwohl die eigentlichen Sünden im Sakrament der Beichte vergeben wurden, blieben die zeitlichen Konsequenzen bestehen. Der Ablass diente dazu, diese Strafen zu verkürzen. Er wurde im Mittelalter ein Teil der Bußpraxis. (Siehe dazu: Katholisches Online-Nachschlagewerk: Kirche von A bis Z, Artikel „Ablass, der“, online abrufbar unter: https://www.katholisch.de/lexikon/782-ablass, abgerufen am 12.07.2025.) Zeitliche Sündenstrafen betrafen geringfügigere Vergehen, für die eine innere Reinigung erforderlich war, um eine Befreiung zu erlangen. Diese Läuterung konnte im irdischen Leben durch Reue, Bußhandlungen oder den Ablass erfolgen, nach dem Tod auch im Fegefeuer. (Siehe dazu: Claudius Verlag: Schülerlexikon, Artikel „Zeitliche Sündenstrafen“, online abrufbar unter: https://www.claudius.de/schueler/lexikon/zeitliche-suendenstrafen, abgerufen am 12.07.2025.)

Lutther, Martinus: Amore et studio elucidande veritatis, 1517 (Staatsbibliothek zu Berlin; Wikimedia Commons, public domain) – Anklicken zur Großansicht!
Martin Luther lehnte die Lehre vom Ablass nicht grundsätzlich ab – und es ging ihm auch nicht um die praktischen Auswirkungen: Weder verfasste er die Thesen aus reiner Sorge um das Seelenheil der Menschen, die sich mit dem Kauf eines Ablassbriefs „reinwaschen“ konnten, noch ging es ihm um die „fiskalisch-kirchenpolitischen Zusammenhänge“, sprich um eine Bewertung der Verkäufe solcher Briefe, wie sie seit langem üblich waren. Vielmehr wollte Luther mit seinen 95 Thesen das Problem des Ablasses aus wissenschaftlicher Sicht erklären: „Seine Thesen sollten der akademischen und innerkirchlichen Wahrheitsfindung dienen.“ (Schilling: Martin Luther, 2012, S. 164) So kritisierte er das zeitgenössische Verständnis des Bußsakraments, betonte, dass die „kirchenrechtlichen Bußsatzungen (…) allein den Lebenden auferlegt“ (8. These, siehe https://www.luther2017.de/de/martin-luther/texte-quellen/die-95-thesen/) seien: „10. Dumm und übel handeln diejenigen Priester, die Sterbenden kirchenrechtliche Bußstrafen für das Fegfeuer vorbehalten. 11. Jenes Unkraut von kirchlicher Bußstrafe, die in Fegfeuerstrafe umgewandelt werden muss, ist offenbar gerade, als die Bischöfe schliefen, ausgesät worden.“ (Ebd.) Ebenso verwerflich war nach Luther der Handel mit den Ablässen: „28. Das ist gewiss: Fällt die Münze klingelnd in den Kasten, können Gewinn und Habgier zunehmen. Die Fürbitte der Kirche aber liegt allein in Gottes Ermessen.“ (Ebd.) Wichtiger und nützlicher als der Kauf von Ablässen sei die Hilfe für Bedürftige. Schließlich kritisiert Luther noch die Verwendung der Ablassgelder durch den Papst für den Bau einer Kirche: „86. Wiederum: Warum baut der Papst, dessen Reichtümer heute weit gewaltiger sind als die der mächtigsten Reichen, nicht wenigstens die eine Basilika des Heiligen Petrus mehr von seinen eigenen Geldern als von denen der armen Gläubigen?“ (Ebd.)
Martin Luther wusste um die große Ablasskampagne, die Geld für den Um- und Neubau der Peterskirche in Rom sammelte. Er ahnte jedoch nicht, dass die Hälfte der Gelder gar nicht den Weg dorthin fand. Vielmehr nutzte Albrecht von Brandenburg (1490-1545) das Geld, um sich die Herrschaft über zwei Bistümer zu sichern. Er war bereits seit 1513 Erzbischof von Magdeburg, ein Jahr später Erzbischof und Kurfürst zu Mainz, vier Jahre später auch Kardinal.
Albrecht erhielt von Luther ein Exemplar seiner Thesen und musste mit ansehen, dass sich diese Thesen schnell verbreiteten. „Auf nicht mehr nachvollziehbaren Wegen gelangte der Wittenberger Druck in die Hände auswärtiger Drucker. Sie witterten ein Geschäft und verbreiteten ihn rasch als Nachdruck über das Reich“, schreibt Schilling (Martin Luther, 2012, S. 166). Auch deutsche Übersetzungen wurden angefertigt und erreichten damit auch ein nicht-akademisches Publikum. (Siehe Klueting: Das Konfessionelle Zeitalter, 2007, S. 152.)
Der Erzbischof Albrecht schickte einen Druck nach Rom, gab ein Gegengutachten in Auftrag und suchte auch den Weg einer Unterlassungsklage gegen Luther. All dies blieb für den Thesen-Autor folgenlos, im Gegenteil: Eine von Johann Tetzel (um 1460/65–1519), einem Dominikanermönch und Ablassprediger, angestrengte Disputation „zur Rechtfertigung des Ablasshandels“ verschaffte der ganzen Diskussion sogar noch einen kräftigen Schub.
Zu diesem Zeitpunkt war sich Martin Luther selbst noch nicht bewusst, dass schon bald der Bruch mit der alten Kirche bevorstehen würde. Seine Thesen markierten jedoch den Beginn großer Veränderungen: Zum einen erlangte Luther selbst nun unter breiten Bevölkerungsschichten Bekanntheit, zum anderen sollten die Theologie, die Politik und das gesellschaftliche Zusammenleben im Heiligen Römischen Reich zum Teil grundlegenden Änderungen unterworfen sein.
Und der Thesenanschlag? Den gab es vielleicht, vielleicht aber auch nicht – die Meinungen der Historiker dazu gehen auseinander. Aber: „Das ist völlig nebensächlich“, meint Volker Reinhardt in einem Deutschlandfunk-Kultur-Gespräch mit der Sozialwissenschaftlerin und Journalistin Anne Françoise Weber, an dem auch der Historiker, Volker Leppin, teilgenommen hat. „Luther hatte andere Möglichkeiten, die Massen zu erreichen, er ist – darüber werden wir sicher noch sprechen – ein Mediengenie, er beliefert die Druckerpresse in einem Rhythmus wie es bis heute, glaube ich, kein anderer Mensch mehr geschafft hat. Er bloggt und twittert permanent. Ob er das nun an die Kirche geschlagen hat, das ist völlig unwichtig, aber man braucht Symbole“, so Reinhardt weiter. (Siehe Deutschlandfunk Kultur: Ein Ketzer mit mystischen Wurzeln – Zwei Luther-Spezialisten im Gespräch, online abrufbar unter: https://www.deutschlandfunkkultur.de/zwei-luther-spezialisten-im-gespraech-ein-ketzer-mit-100.html, vom 20.03.2016, abgerufen am 15.07.2025.)