Geschichte der Reformation

Protest, Protestation, Protestanten – die Reichstage zu Speyer (1526 und 1529)

Im Streit um das Wormser Edikt taten sich etliche Länder und Städte zusammen – und dieses gemeinsame Auftreten gegen den Kaiser wurde laut Thomas Kaufmann später als „Ursprung des Protestantismus“ (Erlöste und Verdammte, 2016, S. 180) gewertet.

Ausgangspunkt war der Reichstag 1526 in Speyer, der ohne den Kaiser stattfand. Der Kaiser forderte aus der Ferne, dass ein Konzil mit Anwesenheit des Papstes die Religionsfragen klären solle, die Reichsstände forderten hingegen, dass jeder einzelne Reichsstand bis dahin selbst über diese Fragen entscheiden könne. Der Kaiser sicherte ihnen dieses Verfahren aber nur für das Edikt zu – und so verabschiedete der Reichstag dann auch nur dieses Zugeständnis. Aber: Diese Formulierung wurde „in der Folgezeit (…) von den Ständen im Sinn des weiteren Verständnisses der Instruktion als Zusicherung weitgehender Handlungsspielräume in der Religionsfrage bis zu einem Konzil interpretiert (…)“ (Schnabel-Schüle: Die Reformation, 2006, S. 154). Tatsächlich war vor dem Reichstag schon einiges an reformatorischem Gedankengut in die Tat umgesetzt worden, wie die Aufzählung der „Protestierenden“ auf dem zweiten Reichstag zu Speyer 1529 zeigt. Das Begonnene „erhielt nun seine Legitimation und wurde durch zwei aktiv reformatorisch gesonnene Herrscherpersönlichkeiten, Johann den Beständigen und Philipp den Großmütigen von Hessen, vorangetrieben.“

Reichstag zu Speyer im Jahr 1529, von Friedrich Ulm aus dem Jahr 1931. CC BY-NC-SA @ Historisches Museum der Pfalz - Speyer

Reichstag zu Speyer im Jahr 1529, von Friedrich Ulm aus dem Jahr 1931. CC BY-NC-SA @ Historisches Museum der Pfalz – Speyer

Auf diesem zweiten Reichstag zu Speyer unternahm die kaiserliche Seite (vertreten von Kaiser Karls Bruder Ferdinand I.) einen erneuten Versuch, das Wormser Edikt durchzusetzen. Die der Reformation zugewandten Fürsten sowie die Bevollmächtigten von vierzehn Reichsstädten wurden überstimmt, zeigten sich jedoch nicht einverstanden und „protestierten“.

Im Folgenden werden diese Personen und ihre Länder sowie exemplarisch einzelne Städte kurz vorgestellt, um einen kleinen Eindruck von den verschiedenen Wegen der Reformationseinführung zu vermitteln:

  • Johann der Beständige (1468–1532): Von 1525 bis 1532 war er Kurfürst von Sachsen und Bruder sowie Nachfolger Friedrichs des Weisen (1463–1525, s. WebHistoriker: Der Reichstag zu Worms – Luther und der Kaiser). Schon bevor Johann Kurfürst wurde, hatte er sich begeistert mit den Schriften Luthers auseinandergesetzt und ließ den Reformator bereits Ende 1522 an seinem Hof in Weimar predigen. Er wurde schließlich der Landesherr Luthers (und Wittenbergs), schätzte dessen Rat und war ihm freundschaftlich verbunden. 1527 avancierte er (auch) zum Landesbischof der neuen Evangelisch-Lutherischen Landeskirche. Alsbald ließ er eine flächendeckende Visitation zur Durchsetzung der Reformation in Kursachsen durchführen.
  • Philipp der Großmütige (Philipp I. von Hessen, 1504-1567), war von 1518 bis 1567 Landgraf von Wann genau er sich zur Reformation bekannte, ist unsicher bzw.  umstritten. Im Bauernkrieg ging er hart gegen die aufständischen Bauern in Hersfeld vor und Fulda vor und metzelte letztendlich bei Bad Frankenhausen Thomas Müntzer und ca. 5.000 Anhänger nieder. Spätestens mit dem Beitritt zum Torgauer Bund im Februar 1526 stand Hessen auf der lutherischen Seite. Mit dem Bund sicherten sich Hessen und Kursachsen, als Reaktion auf den katholischen Dessauer Bund, gegenseitigen Schutz zu, wenn es in Glaubensangelegenheiten zu Problemen kommen würde.
  • Georg der Fromme (1484–1543), auch der Bekenner genannt, war von 1527 bis 1543 Markgraf des fränkischen Fürstentums Ansbach – formell schon seit 1515, faktisch regierte ab 1515 dort und in Brandenburg-Kulmbach sein Bruder Kasimir, der dem habsburgischen Königshaus und damit der alten Kirche näherstand als den neuen reformatorischen Entwicklungen. Nach Kasimirs Tod verwaltete Georg zwischen 1527 und 1541 beide Markgrafschaften (Kulmbach und Ansbach).
  • Ernst I., Herzog von Braunschweig-Lüneburg (1497–1546), und sein jüngerer Bruder
    Franz (1508-1549), ebenfalls Herzog zu Braunschweig-Lüneburg, waren ebenfalls vor Ort. Franz wurde erst 1526 mündig. Zu diesem Zeitpunkt war Ernst I. bereits ein Anhänger Luthers, der im Juni 1526 dem Torgauer Bund beitrat. Ihr Vater Heinrich (genannt der Mittlere, 1468–1532, Herzog zu Braunschweig-Lüneburg), war von 1486 bis 1520 Fürst von Lüneburg und hatte die Herrschaft seinen beiden Söhnen übertragen. Es gab Versuche, ihn wegen der reformatorischen Umtriebe von Ernst wieder einzusetzen, diese schlugen jedoch fehl. Anschließend wurde Braunschweig-Lüneburg lutherisch. Eine Kirchenordnung wurde 1527 verfasst.
  • Wolfgang der Bekenner (1492–1566), auch „der Standhafte“ genannt, war von 1508 bis 1532 Fürst von Anhalt-Köthen. Bereits 1525 führte er die Reformation in seinem Land ein. Martin Luther unterstützte ihn dabei – beide kannten sich schon seit dem Reichstag zu Worms im Jahr 1521.
  • Reichsstadt Heilbronn: Reichsstadt Heilbronn: Eine große Stadt mit 6.000 Einwohnern, sieben Kirchen und zehn Kapellen, drei Klöstern, zwei Beginenhöfen und 15 Priestern, die dem Bischof von Würzburg unterstanden. Einer von ihnen war Johann Lachmann, der seine Arbeit als Prediger an der wichtigsten Kirche (St. Kilian) verrichtete. Er sympathisierte schon früh mit der lutherischen Lehre, doch die Stadt war lange zerspalten. Dies änderte sich erst Mitte 1528 mit dem neuen Bürgermeister Hans Riesser (ca. 1489–ca. 1553), der das evangelische Abendmahl wieder erlaubte, das zwischenzeitlich vom Stadtrat verboten worden war, und 1529 das Kirchenwesen neu ordnete. (Quelle: Jung, Martin H.: Johann Lachmann und die Reformation in Heilbronn, in: Württembergische Kirchengeschichte Online, 2018, ursprünglich abgedruckt in Siegfried Hermle: Reformationsgeschichte Württembergs in Porträts. Holzgerlingen, Hänssler Verlag, 1999.)
  • Reichsstadt Memmingen: Auch Memmingen war mit 5.000 Einwohnern, darunter 130 Geistliche, eine relativ große Stadt (vgl. Blickle: Memmingen,  1997, S. 359). Trotz großer Frömmigkeit gab es in der Stadt schon lange vor Beginn der Reformation Kritik an den geistlichen Würdenträgern: „wegen ihrer Privilegien, wegen des Amtsmissbrauchs, wegen ihres Lebenswandels“ (ebd.). Da kam ein Laienprediger (Prädikant) wie Christian Schappeler gerade recht. Bereits im August 1521 hielt er eine Rede, in der er den Stadtrat kritisierte. Später redete er auch gegen die Geistlichen der Stadt sowie gegen die Machenschaften des Papstes und wurde 1524 vom Augsburger Bischof mit dem Bann belegt. Zudem verklagte der Bischof die Stadt Memmingen „wegen Zulassung reformatorischer Umtriebe vor dem Schwäbischen Bund” (Blickle: Memmingen,  1997, S. 366). Ende 1524 feierte Schappeler das Abendmahl in beiderlei Gestalt: Brot und Wein wurden den Gläubigen gereicht. „Das galt in vielen Städten als der endgültige Bruch mit dem alten Ritus der Kirche.“ (ebd., S. 376). Anfang Januar 1525 kam es zu einer Disputation, einem Religionsgespräch mit vielen Teilnehmern, das auf den Thesen Schappelers basierte. Die reformatorische Seite setzte sich durch.
  • Reichsstadt Isny: Wenn von der Einführung der Reformation in der Allgäuer Stadt Isny die Rede ist, fällt unweigerlich der Name Konrad Frick. Er kam 1518 als Laienprediger (Prädikant) nach Isny und stellte sich bereits früh auf die lutherische Seite. „Damit reiht sich Frick in die lange Reihe der Prädikanten ein, die zu ersten Trägern und Verkündern der neuen Gedanken wurden”, schreibt Paul Warmbrunn in der von Siegfried Hermle herausgegebenen Publikation „Reformationsgeschichte Württembergs in Porträts”. Frick war damit auch unabhängig vom Abt, mit dem es zu Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Neubesetzung der Pfarrstelle kam. Frick setzte sich durch und konnte, erleichtert durch die stillschweigende Billigung des Stadtrats, einen evangelischen Gottesdienst einführen. Unterstützung erhielt er durch den 1527 zugezogenen Schulrektor Paul Fagius (1504–1549), der auch eine Druckerei betrieb.
  • Reichsstadt Kempten: „Der größte Nutznießer des Bauernkriegs für seine politische Entwicklung aber war die Reichsstadt Kempten: Sie kaufte sich aus der Bevormundung und Herrschaft des Fürststifts frei, konnte die Reformation einführen und ihre bürgerliche Entwicklung weiterführen“, sagt der Historiker Dr. Stefan Fischer, bis 2018 Stadtarchivar von Kaufbeuren, in einem Interview von L.I.S.A., dem Wissenschaftsportal der Gerda Henkel Stiftung. Die Aufständischen gingen gegen den Fürstabt Sebastian von Breitenstein vor, der seinen Untertanen große Belastungen auferlegt hatte. Der Fürstabt trat die Flucht an und versteckte sich in der Stadt. Er wurde erkannt und zur Unterzeichnung eines Vertrags gezwungen, der ihm seine Macht in der Stadt nahm. Die Reformation folgte.
  • Freie und Reichsstadt Konstanz: Verantwortlich für die Einführung der Reformation in Konstanz waren v.a. zwei Personen: Ambrosius Blaser (1492–1564), ein alter Freund Melanchthons und Benediktinermönch im Kloster Alpirsbach im Schwarzwald. Über Melanchthon kam er mit den Schriften Luthers in Kontakt. 1522 verließ er das Kloster und ging nach Konstanz, wo er 1525 seine Predigttätigkeit wiederaufnahm. Er hatte Kontakte zu dem Schweizer Theologen und Zürcher Reformator Huldrych Zwingli (1484-1531), später auch zu dem Straßburger Reformator Martin Bucer (Schnabel-Schüle: Die Reformation, 2006, S. 244 f.). Neben Blaser war an den reformatorischen Umtrieben noch sein Cousin Johannes Zwick (1496–1542) entscheidend beteiligt, nachdem er in Riedlingen mit der römischen Kurie aneinandergeriet und 1525 in seine Heimatstadt Konstanz zurückkehrte. 1527 wurde Konstanz reformiert, nachdem der katholische Bischof und sein Domkapitel Konstanz kurz zuvor verlassen hatten.
  • Reichsstadt Lindau: Luthers Lehren waren in Lindau wohl schon recht früh, um 1522 (Bavarikon: Artikel „Lindau“ in einer virtuellen Ausstellung zu Luther) oder 1523/24 (Historisches Lexikon Bayerns: Artikel „Lindau, Reichsstadt“ von Werner Dobras), bekannt. Verantwortlich hierfür waren der Franziskanermönch Michael Hug (gest. 1524) und der Pfarrvikar Sigmund Rötlin (1490–1525). Der Durchbruch der Reformation erfolgte hingegen erst unter ihrem Nachfolger Thomas Gassner, der wahrscheinlich keine akademische Bildung genossen hatte. Als Kaplan verbreitete er in seinem Geburtsort Bludenz bereits 1520 lutherische Schriften und wurde deshalb von dort vertrieben. In Lindau fand er ein neues Zuhause und feierte im März 1525 als Pfarrer das erste evangelische Abendmahl. Er war den Lehren Zwinglis zugeneigt, lehnte Luthers Gedanken jedoch nicht ab. 1528 wurde die Messe in Lindau abgeschafft, Stifte und Klöster geschlossen.

Neben diesen Städten waren an der Protestation zu Speyer noch Nördlingen, Nürnberg, Reutlingen, St. Gallen, Straßburg, Ulm, Weißenburg und Windsheim beteiligt.

Verwendete Literatur

Bavarikon: Artikel „Lindau“ zur virtuellen Ausstellung „Martin Luther und die frühe Reformation in Bayern. Anhänger, Gegner, Sympathisanten“, URL: https://www.bavarikon.de/object/bav:BSB-CMS-0000000000001508 (2013 bis 2016, abgerufen am 08.12.2025).

Lukas Beichler: „Veränderungswünsche galten als umstürzlerische Gotteslästerung“ – Interview mit Stefan Fischer über den Bauernkrieg im Allgäu, Online auf der Website L.I.S.A. (Wissenschaftsportal der Gerda Henkel Stiftung, abgerufen am 09.12.2025).

Peter Blickle: Memmingen – Ein Zentrum der Reformation, in: Jahn, Joachim, Hans-Wolfgang Bayer in Verb. mit Uli Braun: Die Geschichte der Stadt Memmingen. Von den Anfängen bis zum Ende der Reichsstadt, Stuttgart 1997, S. 351-418. (Online auf den Seiten des Stadtarchivs Memmingen, abgerufen am 08.12.2025)

Werner Dobras: Artikel „Lindau, Reichsstadt“, publiziert am 04.10.2010; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Lindau,_Reichsstadt

Martin H. Jung: Johann Lachmann und die Reformation in Heilbronn, in: Württembergische Kirchengeschichte Online, 2018, URL: https://www.wkgo.de/cms/article/index/johann-lachmann-und-die-reformation-in-heilbronn, ursprünglich abgedruckt in: Siegfried Hermle: Reformationsgeschichte Württembergs in Porträts. Holzgerlingen, Hänssler Verlag, 1999.

Thomas Kaufmann: Erlöste und Verdammte. Eine Geschichte der Reformation. München 2016.

Helga Schnabel-Schüle: Die Reformation 1495-1555. Politik mit Theologie und Religion. Stuttgart 2006.

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