Geschichte der Reformation

Die Verbreitung der reformatorischen Ideen in den 1520er Jahren

Netzwerke und Buchdruck

Da war ein Mensch, der nicht mehr einverstanden war mit den Worten und Handlungen seiner Kirche. Er schrieb und predigte, um die alte Kirche zu reformieren, sie zu den ursprünglichen christlichen Ideen zurückzuführen, wie er sie verstand. Nach und nach merkte er, dass die Kirche dazu nicht bereit war bzw. dass seine Auffassungen schlicht nicht kompatibel mit ihren waren – und dass seine Worte sogar für ihn selbst gefährlich werden konnten.

Schon vor ihm gab es Personen, die Ähnliches vorhatten, die den Papst und seine Kirche kritisierten und dies gar mit ihrem Leben bezahlen mussten. Ihr Handeln war um 1517 nicht vergessen, die Einwände der alten Kirche gegen Luthers Ideen nannten ihre Namen. Doch die Zeit war vor 1500 noch nicht reif für einen solchen Nachhall, wie ihn das Wirken des Luthers nach 1500 haben sollte.

An Augustinian Friar (?) Praying by Gerard David (ca. 1450/1460–1523; Wikimedia commons, public domain)

An Augustinian Friar (?) Praying by Gerard David (ca. 1450/1460–1523; Wikimedia commons, public domain)

Doch wie fanden Luthers reformatorische Ideen Verbreitung? Wie war es bestellt um die Formen der Kommunikation, um die Adressaten, um die Worte und Inhalte selbst und inwieweit sie das Interesse der Adressaten geweckt haben, um ihre Bereitschaft oder ihren Willen, diese Informationen weiterzugeben, sowie um die Wege, wo und wie sie dies taten?

Helga Schnabel-Schüle nennt in ihrem Werk „Die Reformation“ (2006, S. 124 ff.) zum einen Luthers persönliche Kontakte und Netzwerke: den Orden der Augustiner-Eremiten und seine Kollegen, ihm nahestehende Studentenkreise und Theologen der Universität in Wittenberg sowie Kontakte, die er über seine Auftritte bei den Disputationen, beim Reichstag sowie dem Umfeld solcher Ereignisse knüpfte – siehe Luthers zweiwöchige Reise zum Wormser Reichstag mit etlichen Auftritten, Reden und Diskussionen (WebHistoriker: Martin Luther nach der Veröffentlichung seiner Thesen).

Zum anderen gab es die zahlreichen Publikationen, darunter die in großen Auflagen erschienenen Schriften Luthers sowie die Werke weiterer Autoren, die mit leicht verständlichen und ebenfalls zahlreich gedruckten Flugschriften auf die reformatorischen Umwälzungen aufmerksam machten.

Keine Reformation ohne Buchdruck?

Darstellung des Buchdruckerhandwerks (1568) von Jost Amman (Wikimedia commons)

Darstellung des Buchdruckerhandwerks (1568) von Jost Amman (Wikimedia commons)

„Die Reformation hätte ohne den Buchdruck nicht stattfinden können“, heißt es in Martin H. Jungs „Reformation und Konfessionelles Zeitalter“ (2012, S. 23), der damit wohl auf eine viel zitierte Aussage von Bernd Moeller zurückgreift (s. Kaufmann: Die Mitte der Reformation, 2019, S. 7). Die zeitliche Nähe zwischen der Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern in der Mitte des 15. Jahrhunderts und der Reformation wurde in der Forschung bereits ausführlich betrachtet und besprochen. Die Reformation war ohne Zweifel auch ein Medienereignis, ihre Protagonisten nutzten die zahlreichen Druckereien. Um 1500 gab es bereits „in über 150 Städten ganz Europas mehr als tausend Druckereien“ (Kaufmann: Erlöste und Verdammte, 2016, S. 74), zwischen 1520 und 1530 ist „in mehr als 55 Städten reformatorisches Schrifttum gedruckt worden“ (Kaufmann: Die Mitte der Reformation, 2019, S. 225).

Wie im WebHistoriker-Artikel „Martin Luther nach der Veröffentlichung seiner Thesen“ ausgeführt wird, schrieb Martin Luther in den frühen 1520er Jahren sehr eifrig. Er „hatte nun endgültig erkannt, welche Bedeutung die sich herausbildende Öffentlichkeit für gesellschaftliche Prozesse besaß.“ (Leppin: Die Reformation, 2. Aufl. 2017, S. 43) Luther nutzte die erfolgreiche Publikation und Verbreitung der Flugblätter, die in Text und Bild seine Inhalte vermittelten. Mit Bezug auf den im Jahr 2020 verstorbenen Kirchenhistoriker Bernd Moeller führt Leppin (ebd., S. 43) weiter aus, dass es zwischen 1500 und 1530 ca. 10.000 Flugschriften gegeben habe. Bei einer Auflage von 1.000 Exemplaren – laut Leppin eine unsichere Zahl – könne man demnach von zehn Millionen Ausgaben ausgehen. Luther war um 1520 selbstverständlich nicht der einzige Autor, aber der erfolgreichste: „der alles überragende Star“ (ebd., S. 45).

Thomas Kaufmann betont, dass es um 1520 einen „Umbruch des Buchmarktes“ gab, für den fast ausschließlich Martin Luther verantwortlich war (Die Mitte der Reformation, 2019, S. 445). Die Buchdrucker waren in den stürmischen Zeiten des Reformationsbeginns gezwungen, sich zu positionieren. Sie bekamen natürlich mit, dass Luthers Schriften begehrt waren – mit ihnen war ordentlich Geld zu machen: Der „ökonomische Impuls frühkapitalistischer Unternehmer bildete den Nukleus des frühreformatorischen Kommunikationsprozesses“. In gewissem Maße stimmt also die Aussage: „Ohne Buchdruck keine Reformation.“ Umgekehrt hat jedoch auch die Reformation, vor allem das Wirken Luthers, den Buchdruck gefördert und geprägt.

Was wusste der gemeine Mann von Luthers Theologie?

Allerdings: „Was beim einfachen Volk von der Theologie Luthers ankam, ist nach wie vor in der Forschung umstritten“, schreibt die Historikerin Helga Schnabel-Schüle (Die Reformation, 2006, S. 130) und betont, dass die Volksbewegung keine „Bewegung zur Einführung der Reformation“ war (ebd., S. 128). Die Proteste des einfachen Mannes zielten vielmehr auf eine Verbesserung der seelsorgerischen Aufgaben der Kirche und ihrer Vertreter ab – und tatsächlich waren recht schnell Veränderungen, beispielsweise regelmäßige Gottesdienste, zu verzeichnen. Luther selbst setzte sich schon früh für einen „territorialstaatlichen Reformationskurs“ ein (Kaufmann: Erlöste und Verdammte, 2016, S. 141), wenngleich die erste reformatorische Kirchenordnung (1522) in Wittenberg auf Andreas Rudolff Bodenstein (1486–1541), genannt Karlstadt, zurückging. Dieser war ein Anhänger der Reformation „von unten“ und trieb in der Zeit, in der Luther auf der Wartburg war, die Reformation in Wittenberg voran. Anschließend geriet er jedoch mit Luther in Konflikt und verließ die Stadt. Seine „lobliche ordnung der Fürstlichen stat Wittemberg“ wurde trotzdem Vorbild für weitere Ordnungen. (Die Diskussionen und Konflikte unter den Reformatoren werden in einem späteren Kapitel näher beschrieben.)

In anderen Städten – und tatsächlich waren die Anfänge reformatorischer Bewegungen eher in Städten als auf dem Land zu erkennen – zeigte sich bei der Einführung der Reformation ein recht heterogenes Bild. Mal forcierten die Stadtoberen den neuen Weg, um bei Änderungen des Kirchenwesens das Heft des Handelns zu behalten, mal ging die Initiative von Nicht-Ratsherren aus. Zu Beginn standen jedoch zumeist Prediger, die „mehr oder minder große Laiengruppen davon überzeugten, dass das bestehende Kirchenwesen dem widersprach, was die Bibel lehrte“ (Kaufmann: Erlöste und Verdammte, 2016, S. 143).

Es gibt noch einen weiteren viel diskutierten Spruch in der Forschung: „Ohne Reformation kein Bauernkrieg.“ Diese Aussage hat sicherlich ihre Berechtigung, denn die Aufständischen wähnten den Reformator Martin Luther wegen seines Freiheitsaufrufs auf ihrer Seite. Wie im Beitrag zum Bauernkrieg (WebHistoriker: Memminger Bundesordnung und 12 Artikel) aufgezeigt wird, stellte sich Luther aber letztendlich jedoch auf die Seite der Herrschenden. Diese vertraten unterschiedliche Haltungen zu den reformatorischen Ideen und verbündeten sich teilweise, um ihre Stellung gegen die Bauern zu sichern. Gleichzeitig formierten sich allerdings auch militärische Bündnisse „entlang konfessioneller Demarkationslinien“ (Kaufmann: Erlöste und Verdammte, 2016, S. 180): der Regensburger und der Dessauer Bund auf Seiten der Katholiken sowie das Torgauer Bündnis und der Schmalkaldener Bund auf Seiten der Protestanten. Auch dazu später mehr!

Verwendete Literatur

Martin H. Jung: Reformation und Konfessionelles Zeitalter (1517–1648). Göttingen 2012.

Thomas Kaufmann: Die Mitte der Reformation. Eine Studie zu Buchdruck und Publizistik im deutschen Sprachgebiet, zu ihren Akteuren und deren Strategien, Inszenierungs- und Ausdrucksformen. Tübingen 2019.

Thomas Kaufmann: Erlöste und Verdammte. Eine Geschichte der Reformation. München 2016.

Harm Klueting: Das Konfessionelle Zeitalter. Europa zwischen Mittelalter und Moderne. Darmstadt  2015.

Volker Leppin: Die Reformation. 2., aktualisierte Auflage 2017.

Helga Schnabel-Schüle: Die Reformation 1495-1555. Politik mit Theologie und Religion. Stuttgart 2006.

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