Die Hochrenaissance in Florenz
Florenz um 1500 – und die Kunst am Beispiel Michelangelos
Mein Artikel über die Frührenaissance hat die damalige führende Rolle der Stadt Florenz bereits hervorgehoben, das Wirken von Filippo Brunelleschi, Donatello, Lorenzo Ghiberti, Masaccio (1401-1428), Sandro Botticelli (1445-1510) und Leon Battista Alberti (1404-1472) kurz dargestellt. Wie ging es weiter? Nun, es folgte beispielsweise kein geringerer als einer der berühmtesten und wegweisendsten Künstler der Hochrenaissance: Michelangelo (1475-1564). Wie viele Künstler war er in verschiedenen Städten tätig – sein Wirken in Florenz wird auf dieser Seite anhand von zwei Werken nachgezeichnet: der bekannten David-Statur und dem Gemälde Tondo Doni (Die Heilige Familie).
Florenz, Fotografie um 1985, Bild: Michael Schnell
Die politische Lage in Florenz
Die Familie der Medici war 1494 aus Florenz vertrieben worden und sollte erst 18 Jahre später wiederkommen. Zwischenzeitlich herrschte der Dominikaner und Bußprediger Girolamo Savonarola (1452-1498), der mit Prophezeiungen und vielen Schriften, die zur Buße und zum Gebet aufriefen, reichlich Nachfolger fand. Die Reinigung des Christenlebens und ein zu errichtender Gottesstaat stellte er den Lastern seiner Zeit gegenüber, wetterte gegen Künstler und Dichter, gegen Wollust und Homosexualität, ließ antike Schriften und humanistische Bücher verbrennen. Nach einem verlorenen Krieg, folgender Lebensmittelknappheit und einzelnen Pestfällen kippte die Stimmung, Savonarola wurde hingerichtet.
An die Spitze der florentinischen Regierung trat nun Piero Soderini (1451-1522), der einer alten florentinischen Familie entstammte und dem früheren Machtkreis der Medici angehörte. Seine Herrschaft wird als „moderat und weise“ (Encyclopaedia Britannica: Artikel „Piero di Tommaso Soderini“), als wohlwollend und unparteiisch (italienische Wikipedia-Ausgabe: „Pier Soderini“) beschrieben, ohne dass er große staatsmännische Qualitäten besessen hätte. Trotz Beratung großer Persönlichkeiten, unter ihnen der bis heute bekannte Staatsphilosoph Niccolo Machiavelli (1469-1527), trugen Fehlentscheidungen sowie das Vordringen der „Heiligen Liga“ (Papst Julius II., Spanien, der Schweizer Eidgenossenschaft und Kaiser Maximilian I.) zur Vertreibung der Franzosen dazu bei, dass Soderini 1512 abgesetzt wurde. Die Folge: Die Medici standen nun wieder der Regierung der Republik Florenz vor.
Giovanni de’ Medici (1475-1521), Sohn von Lorenzo il Magnifico (dem Prächtigen), wurde bereits mit 14 Jahren zum Kardinal bestimmt und nutzte diese Rolle später mit Blick auf seine Familie geschickt aus. Er kam gut mit Papst Julius II. zurecht, was der (Macht-)Rückkehr der Medici 1512 nach Florenz dienlich war, und blieb auch nach seiner Wahl zum Papst (als „Leo X.“) im März 1513 ein „kühl kalkulierender Machtpolitiker“. Er verstand es, bei Konflikten „zu beiden Seiten gute Beziehungen zu unterhalten“ (Reinhardt, 2022, S. 104 f.). Den Medicis kam dies zugute, die Familieninteressen standen im Vordergrund – Florenz allerdings hoffte vergeblich auf mehr Geld und Macht, etliche Entscheidungen über die Republik kamen aus Rom. Dies blieb auch mangels fähiger Medici-Mitglieder in Florenz nach dem Tod Leos X. 1521 so, als für den Übergang der Niederländer Hadrian VI. (1459-1523) und anschließend der Cousin Leos, Giulio de’ Medici, (1478-1534) als Papst Clemens VII. folgte.
Allerdings waren die Konflikte in Italien nicht beendet. Die so genannten „Italienischen Kriege“ setzten sich fort – bis 1559 („Frieden von Cateau-Cambrésis“). Beteiligt waren unterschiedliche Mächte mit unterschiedlichen Interessen und wechselnden Bündnissen – im Großen ging es um die Vorherrschaft in Europa zwischen den Herrscherhäusern Habsburg und Valois. 1521 kam es zum Krieg zwischen dem Habsburger Karl V. (1500-1558), dem späteren Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und gleichzeitig König von Spanien, und dem französischen König Franz I. (1494-1547, „der Ritterkönig“) aus dem Haus Valois-Angoulême, einer Nebenlinie des Hauses Valois. Es ging vornehmlich um Oberitalien, doch gab es auch andere Kriegsschauplätze.
Der Medici-Papst Clemens VII. stellte sich zunächst auf die Seite des Kaisers, wechselte dann zur Liga von Cognac. Als die Truppen Karls V. Rom erobert, geplündert und schließlich Clemens gefangengenommen hatten („Sacco di Roma“, 1527), wollte man sich in Florenz seiner Verwandten entledigen – und die Medici wurden abermals vertrieben. Der Papst schaffte es allerdings, einen Frieden mit Karl zu schließen (Friede von Barcelona, 1529), erhielt die Herrschaft über den Kirchenstaat zurück – und die Medici waren zurück in Florenz. Kurze Zeit später krönte der Papst Karl V. zum Kaiser.
Michelangelo in Florenz
Das Leben und Wirken Michelangelos spielte sich in einer unruhigen Zeit ab. Geboren 1475 in Caprese (seit 1913 Caprese Michelangelo) in der östlichen Toskana, zog seine Familie schon bald nach Florenz, genauer gesagt nach Settignano, einem Dorf nordöstlich von Florenz. Gegen den Widerstand seines Vaters – seine Mutter starb, als er sechs Jahre alt war – und seines Lehrers und gegen ihre körperlichen Züchtigungen setzte er sich durch mit seinem Vorhaben, ein Künstler zu werden. Interessanterweise war seine Amme in Settignano die Frau eines Steinmetzes: Und Michelangelo fühlte sich wohl vornehmlich der Bildhauerei zugewandt, wenngleich sein großes Talent zum Zeichnen auch schon früh erkennbar war.
Mit 13 Jahren begann er eine Lehre bei dem Florentiner Domenico Ghirlandaio (1449-1494), einem damals sehr bekannten und gerühmten Maler, der in den Folgejahrhunderten hingegen unterschiedlich beurteilt wurde. Mit ca. 15 Jahren besuchte er die Kunstschule von Lorenzo de‘ Medici („il Magnifico“ genannt, 1449-1492), machte mit einzelnen Bildhauer-Projekten auf sich aufmerksam und wohnte im Palast der Medici. Wegen seiner Nähe zu den Medicis und den politischen Umwälzungen 1494 verließ er Florenz, kehrte aber wiederholt zurück.
Der David
Michelangelo: David; Foto: Jörg Bittner, Unna (Wikimedia Commons)
Seine zweite Florentiner Zeit von 1501 bis 1504 verbindet man vornehmlich mit der Erstellung des David, der wohl berühmtesten Skulptur der Kunstgeschichte:
Am Anfang war da dieser riesige Block aus Marmor. 12 Tonnen schwer, über fünf Meter lang, aber recht schmal, schon seit vielen Jahren von mehreren Künstlern bearbeitet. Zudem gab es viele Diskussionen zum Ort, wo das Kunstwerk letztendlich stehen sollte – keine leichte Ausgangssituation also für jemanden, der damit einen ersten öffentlichen Auftrag entgegennehmen sollte. Aber auch eine große Chance, schon als Mittzwanziger in die Fußstapfen eines Donatello zu treten, dem bis dahin größten Bildhauer der Stadt.
Die Version des David, wie Michelangelo sie plante und schuf, passte in seine Zeit: Nicht als Sieger, sondern als Person, die kurz vor dem Kampf gegen den Riesen Goliath steht, sollte er gezeigt werden. Kurz vor der Ausschreibung des Auftrags hatte Macchiavelli ein Bürgerheer aufgestellt, der sich jeder kampffähige Bürger der Stadt anschließen sollte, mit ausgeteilten Waffen, die der Bürger frei wählen konnte. So trat Florenz gegen die Franzosen und die Medici, aber v.a. auch im Krieg gegen Pisa an. David konnte da als Vorbild dienen: Er verteidigte sich mit Erfolg, mit einer selbst gewählten, scheinbar unterlegenen Waffe. Machiavelli hatte ausdrücklich auf David verwiesen, den er für eine Art idealen Krieger hielt. „Machiavelli beschreibt den idealen Soldaten, als würde er Michelangelos David vor Augen haben“, heißt es bei Horst Bredekamp in seinem voluminösen Werk über den großen Renaissance-Künstler (2021, S. 144).

Ausschnitte aus dem Bild oben: Michelangelo: David; Foto: Jörg Bittner, Unna (Wikimedia Commons), Helligkeit der Hand leicht erhöht
Herausragend an diesem Kunstwerk sind u.a. sicherlich die feinen Herausarbeitungen der Körperbestandteile, die direkt unter der Haut liegen: Sehnen, Adern, Muskeln und Knochen. Bredenkamp (2021, S. 135) hebt hier v.a. die rechte Hand hervor, doch auch viele andere Körperstellen sind großartig aus dem Marmor geschlagen.
1504 hatte Michelangelo den David fertiggestellt. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verließ die Statue ihren ursprünglichen Standort am Palazzo Vecchio. Sie steht heute in der Accademia di Belle Arti (auch Galleria dell’Accademia genannt), der ersten Akademie für Malerei in Europa.
Tondo Doni – die Heilige Familie
Als ein weiteres Beispiel der Künste Michelangelos sei das runde Tafelbild „Tondo Doni“ – „tondo“ bedeutet „rund“ (von italienisch „rotonde“) und Doni ist der Name eines florentinischen Bankiers. Unklar ist der Anlass: War es die Hochzeit von Agnolo Doni und Maddalena Strozzi im Jahre 1504 oder oder die Geburt ihrer ältesten Tochter 1507? Klar scheint zumindest, dass die Familie Strozzi das Bild in Auftrage gegeben hatte und dieses zumindest um 1540 noch im Familienbesitz der Donis befand. Federico Giannini, Journalist und Chefredakteur des Kunstmagazins „Finestre sull’Arte“, und Ilaria Baratta, Journalistin und gemeinsam mit Giannini Mitbegründerin des Magazins, tendieren aufgrund einzelner Vergleiche mit Kunstwerken, die Michelangelo erst später zugänglich waren, für den späteren Termin (siehe den interessanten Artikel „Michelangelos Tondo Doni“).

Michelangelo: Tondo Doni (1504 oder 1506/07); Wikimedia Commons / Le Gallerie degli Uffizi (Bild verkleinert, sonst unbearbeitet)
Zum Inhalt des Bildes: Zu sehen sind im Vordergrund die heilige Familie mit Maria, Josef und dem Jesuskind. Rechts, hinter einer Mauer (?), Johannes der Täufer als kleiner Junge, zu erkennen an dem Kamelfell-Umhang (Markus 1,6 beschrieb den erwachsenen Johannes: „Johannes trug ein Gewand aus Kamelhaaren und einen ledernen Gürtel um seine Hüften und er lebte von Heuschrecken und wildem Honig.“). Im Hintergrund sind ein paar komplett nackte Personen zu sehen.

Luca Signorelli: Madonna and Child, Tondo; Wikimedia Commons, Collection Uffizi Gallery
Bevor einzelne Bestandteile des Bildes diskutiert werden, sei gesagt: Das Zusammenspiel „heilige Familie und klassische Akte“ dürfte keine Überraschung, keine originelle Idee für diese Zeit gewesen sein. Die „Maria mit dem Kind“ des florentinischen Künstlers Luca Signorelli (ca. 1450-1523) – Michelangelo kannte dieses Bild – hat einen ähnlichen Bildaufbau. Hier trennt ein Fluss Maria und Jesus von mehreren wenig bekleideten Personen, augenscheinlich Hirten (mit Stäben).
1. Frage: Wird das Kind von Joseph nach vor, zu Maria, gereicht oder umgekehrt? Das Kind schaut zur Mutter – also dorthin, wo es hingereicht wird? Das ist ein möglicher Hinweis dafür, aber warum ist das wichtig? Antwort: Das Nach-vorne-Reichen wäre dann ein Zusammenbringen von Christus mit der Kirche, die „durch die Madonna symbolisiert wird“ (d.h. durch Maria). Die oben erwähnten Giannini und Baratta betonen, dass moderne Kunsthistoriker die Übergabe des Kindes von hinten nach vorn interpretieren – im Gegensatz zu dem Künstler und Künstlerbiograph Giorgio Vasari (1511-1574). Horst Bredekamp hingegen lässt die Frage offen (2021, S. 165).
2. Frage: Wer sind die Figuren im Hintergrund? Zum ersten fällt auf, dass sie etwas unscharf erscheinen – m.E. wirkt dies nicht so stark wie das Sfumato bei Leonardo und seiner Mona Lisa, wo die Kanten und Konturen im Hintergrund verschwimmen oder aufgelöst werden. Andererseits wirkt der Gegensatz von Schärfe und Unschärfe bei Michelangelo wiederum sehr stark – eben, weil sich der Vordergrund durch seine kräftige Farbgebung und seine starken Konturen stark vom Hintergrund abhebt.
Nach Giannini und Baratta gibt es unter den Kunsthistorikern verschiedene Interpretationen: Es gibt keinen Hinweis (z.B. die Hirtenstäbe wie bei Signorelli), dass es Hirten sind. Zudem sind die Personen komplett nackt. Sind es also Athleten, die die Tugend symbolisieren, zeigen sie „eine Allegorie der platonischen Liebe“ (eine These, die auf das kulturelle Leben der Zeit referiert)? Oder stellen sie die gestorbenen Säuglinge dar, die noch nicht die Taufe empfangen haben (ein großes Problem in diesen Zeiten)? Vielleicht stehen die Nackten auch für die, die einst Heiden waren und sich nun von der Sünde befreit haben?
Bredekamp (2021, S. 165) sieht in Michelangelos Werk noch andere Aspekte: Im Vordergrund ist eine Maria mit ausgeprägten Muskeln zu sehen, im Hintergrund Männer mit durchaus weiblichen Zügen. Die stehende Person rechts z.B. ist durch das Geschlechtsteil als männlich gekennzeichnet, erhält jedoch durch die Körperhaltung und die „gerundeten Hüften“ eine „effeminierte Prägung“ (effeminiert von lateinisch effeminatio, dt. „Verweiblichung“). „Michelangelos Gemälde gelingt es, die vorchristlichen Konzepte der Urmenschen in die christliche Geschichte der Erlösung der Menschheit zu überführen.“ (Bredekamp, 2021, S. 166) Ähnlich liest es sich bei dem Kunsthistoriker Frank Zöllner (2007, S. 442): „Die Figuren im Hintergrund stehen für das Alte Testament, für die Zeit vor und unter dem Gesetz (tempus ante legem und tempus sub legem), während der rechts hinter der Mauer wartende Johannesknabe mit seinem Blick in die Zeit der Gnade (tempus sub gratia) überleitet, die durch die Heilige Familie verkörpert wird“ (zitiert nach Norbert Schnabels Blog „Stendhal Syndrom“, Eintrag 2. Juni 2015).
Zugegebenermaßen erscheinen solche Interpretationen einem Kunstlaien (wie mir) manchmal befremdlich und nicht immer verständlich. Spannend sind diese Diskussionen aber allemal, v.a. wenn sie ein wenig den Horizont erweitern für das Staunen über Kunstwerke eines Meisters wie Michelangelo.
Wie es mit diesem Künstler weiterging, wird im Kapitel über Rom beschrieben.
Verwendete Literatur
Horst Bredekamp: Michelangelo. Klaus Wagenbach Verlag. Berlin 2021, 816 Seiten, 89 EUR.
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Encyclopaedia Brittanica: Artikel „Piero die Tommaso Soderini“. Online unter: https://www.britannica.com/biography/Piero-di-Tommaso-Soderini (abgerufen am 22.12.2024)
Federico Giannini und Ilaria Baratta: Michelangelos Tondo Doni: Entstehung und Bedeutung eines der größten Meisterwerke der Kunstgeschichte. Online unter: https://www.finestresullarte.info/de/werke-und-kunstler/michelangelos-tondo-doni-entstehung-und-bedeutung-eines-der-grossten-meisterwerke-der-kunstgeschichte (veröffentlicht am 27.06.2019, abgerufen am 22.12.2024)
Volker Reinhardt: Die Renaissance in Italien: Geschichte und Kultur. C.H.Beck, Taschenbuch. 4. Edition. München 2022, 128 S., 12 EUR.
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Norbert Schnabel: Nimm mir mal den Kurzen ab! – Michelangelos „Tondo Doni“. Online auf dem Blog „Stendhal Syndrom“, von Norbert Schnabel unter: https://syndrome-de-stendhal.blogspot.com/2015/06/nimm-mir-mal-den-kurzen-ab.html (veröffentlicht am 02.06.2015, abgerufen am 22.12.2024).
Wikipedia (Italien): Artikel Pier Soderini. Online unter: https://it.wikipedia.org/wiki/Pier_Soderini (abgerufen am 22.12.2024)