Zur Vorgeschichte der Renaissance
Gotik, Rittertum und Scholastik waren nach Peter Burke prägende Konstanten für große Teile Europas im 12. und 13 Jahrhundert. Ihr Zentrum oder Ausgangspunkt war Frankreich.[1] Ein paar kurze Beschreibungen mögen sie charakterisieren.
Die gotische Architektur und Kunst
Der Schwere der romanischen Bauten mit ihren mächtigen Mauern und Gewölben, ihren Rundbögen und ihrem quadratischen System folgte die Gotik: Schwerelosigkeit und Reinheit zeigen sich in Mauern, die „zugleich Nichtmauern“ sind – eine paradoxe „Metaphysik aus Glas und Stein“, wie sie auch im Menschen mit seinem Bestreben nach Vollkommenheit und seiner Abhängigkeit zur Erbsünde vorhanden ist.[2]
Wenn von dem Beginn der Gotik die Rede ist, kommt oft Saint Denis, die Abteikirche bei Paris, ins Spiel. Normannische Rippengewölbe wurden hier mit den Spitzbögen, die aus Burgund bekannt waren, vereint. Durch die spezielle Bautechnik konnten nun große Fenster eingesetzt werden – wenngleich dies nicht dazu führte, dass es in der Kirche tagsüber sozusagen taghell war. Die Fenster waren bunt und ließen nicht so viel Licht hindurch. Freilich besaßen die Kirchen dieser Zeit weiterhin viele romanische Elemente.[3] Neu war auch die Fensterrose.
Berühmte Kirchen der Gotik sind neben Saint Denis auch die Kathedralen Notre Dame in Paris und Saint-Pierre in Poitiers, aber auch der Paderborner Dom (der „Hohe Dom St. Maria, St. Liborius, St. Kilian“) – wie die Kathedrale in Poitiers eine Hallenkirche. (Eine Hallenkirche ist in dem Langhaus und den seitlichen Kirchenschiffen gleich hoch.)
Am Beginn der klassischen Hochgotik – manche sagen, dass hier die Gotik eigentlich erst begonnen hat – steht dann die Kathedrale Notre-Dame von Chartres (geweiht 1260), die Kathedralen Notre Dame von Reims und Amiens folgten.
Die Kathedrale in Chartres ist nie zerstört worden. Daher können dort die ältesten und sehr gut erhaltenen Glasfenster bewundert werden. Dass solche Fensterflächen überhaupt schon im 12./13. Jahrhundert möglich waren, lag an der speziellen Baukunst, die möglichst massive Mauern nicht mehr notwendig machten, damit die Kirche „stehen konnte“.
Auch in (heute) deutschen Landen finden sich Nachfolger solcher Bauten (der Kölner Dom, St. Marien in Lübeck), in England, Spanien und Italien. Auch nicht-religiöse Bauten nahmen gotische Elemente auf.
Der Adel, die Ministerialen und das Rittertum
Einen Adel gab es schon lange, also Gruppen, die gesellschaftlich privilegierte Stellungen innehatten und oftmals über Ländereien und Menschen herrschten.
Ab dem 11. Jahrhundert waren jedoch große Veränderungen zu verzeichnen: Der Adel nannte sich fortan nach seinem Stammsitz oder seiner Burg: die Habsburger, die Schaumburger oder die Adeligen von Staufen oder von Zollern. Der Besitz blieb über Generationen in Familienhand, er wurde vererbt. Hierzu gehörte dann auch ein Hauskloster.
Die Adelsfamilien waren sehr heterogen: Es gab kleine Familien (den Ortsadel) und „mächtige Fürstenfamilien“.[4] Nur wenige gehörten zu den „Großen“, den mächtigen Fürsten und Grafen; die meisten gehörtem dem Territorialadel an.[5] Sie sind erst im hohen Mittelalter aus der Unfreiheit aufgestiegen.
Viele von ihnen gingen aus den so genannten Ministerialen hervor. Die Ministerialen waren zunächst freie Dienstleute, die aber von ihrem Grundherrn eine privilegierte Stellung zugewiesen bekamen. Sie verwalteten den Hof, bewachten die Güter – und sie erhielten dafür oft auch Lehen. Ein Lehen konnte zum Beispiel ein Stück Land sein (mit Gebäuden). Wurde dieses Lehen erblich – und das kam vermehrt vor –, konnte statt von einem geliehenen Land fast schon von Besitz die Rede sein. Sozial aufgestiegen in den niederen Adel erlangten sie dann auch Macht. Sie wurden faktisch Freie.
„Einen zentralen Faktor des Aufstiegs bildete die adelige Lebensweise, und hier entwickelte sich die spezifische Form der ritterlichen militärischen Betätigung zu dem Charakteristikum schlechthin.“[6] Das Rittertum mit seinen aus dem Frankenreich stammendem Ideal ritterlichen Verhaltens – mit all seinen Werten, Verhaltensweisen und Symbolen – zeigte sich auch in der höfischen Literatur des Hochmittelalters.
Die Scholastik
„Im 11. Jahrhundert, verstärkt seit der Jahrhundertmitte, setzte eine Umwandlung der gesamten westlichen Zivilisation ein.“[7] Es gab einen wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung in Westeuropa, bedingt durch eine „mittelalterliche Warmzeit“[8], die einen wirtschaftlichen Aufschwung, ein Bevölkerungszuwachs und zahlreiche Neuerungen nach sich zog, zum Beispiel die Dreifelderwirtschaft und verschiedene neue Ackerbaugeräte. In den Städten entstanden neue soziale Gefüge mit Markt, Geldwirtschaft, Gericht, mit Zünften, Räten, Gilden und Bruderschaften. Aber sichtbar wurde auch eine zunehmende Aggressivität des Westens gegen den Islam und gegen die Juden in dieser Zeit – der Beginn der Kreuzzüge Ende des 11. Jahrhunderts zeigt dies deutlich.
Und ja, es gab auch einen „Wiederanfang des philosophischen Lebens“.[9] An den Schulen wurden traditionell noch die „septem artes liberales“, also die sieben freien Künste gelehrt: Grammatik, Rhetorik, Dialektik (Logik) – das ist das Trivium – sowie Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie – das Quadrivium. In den städtischen Schulen wuchs jedoch das Bedürfnis nachzufragen, zu erörtern, abzuwägen.
Die ersten Universitäten entstanden in Bologna (Ende 12. Jahrhundert) und in Paris (um 1200). Bologna wurde zum „Ursprungsort der modernen Rechtswissenschaft“, denn hier zeigten sich ausgeprägte Grundwerte moderner „Wissenschaft“ – zum Beispiel in der um 1140 das kanonische Recht systematisierenden Schrift „Dectetum Gratiani“. Apropos Systematisieren: „Die Zeit begehrte Summen, wollte die Fülle des Wissens aufbereitet haben“, das Wissen sollte geordnet werden durch eine Art enzyklopädischer Werke: „(…) von Steinen und Kräutern bis zu Dämonen und Mathematik, Anatomie, Astrologie, Staatsverwaltung und Weltgeschichte.“[10]
Nach Paris und Bologna entstanden weitere Universitäten und wissenschaftliche Zentren, zum Beispiel:
- in England die Universitäten Oxford und Cambridge,
- in Italien Padua und Neapel,
- in Spanien Palencia und Salamanca,
- in Deutschland (bzw. im Heiligen Römischen Reich) im 14. Jahrhundert in Prag, Wien, Heidelberg und Köln.
In und aus diesem Umfeld heraus entstand die Scholastik.
Die Scholastik ist ein theologisch-philosophisches „Denkgebäude“, wie es an den Kloster- und Domschulen, später an den Universitäten gelehrt wurde. Von den Sieben Freien Künsten sollte vor allem die Dialektik dazu beitragen, eine der Hauptaufgaben der Scholastik zu bewältigen: „(…) die Dogmen der römisch-katholischen Kirche in ein System zu bringen und mit den Mitteln der Vernunft zu begründen und weiter auszubilden.“[11]
Wichtige Namen der Anfangszeit sind sicherlich Anselm von Canterbury (um 1033-1109) und Petrus Abaelard (1079-1142). Vernunft, Logik, Dialektik sollten auch die Theologie bestimmen, Glauben und Vernunft zu demselben Ziel führen: der Wahrheit.[12] Anselm, oftmals als der „Vater der Scholastik“ bezeichnet, versuchte dies zum Beispiel mit dem Gottesbeweis.
Petrus Abaelard, eine „Schlüsselfigur des 12. Jahrhunderts“[13], die „für einen ersten Gipfel der Scholastik“[14] steht, setzte die Grundlagen der scholastischen Methode fest: Er stellte widersprüchliche Aussagen bekannter Autoritäten gegenüber und versuchte, einen „rationalen Ausgleich“ zu finden[15] – die Widersprüche aufzulösen, ohne die anerkannten Lehrsätze aufzulösen. Dies versuchte er im Übrigen auch im so genannten Universalienstreit, bei dem sich zwei Lehren gegenüberstanden: der Realismus und der Nominalismus.
Exkurs: Der Universalienstreit
Der Realismus (nicht zu verwechseln mit dem heutigen Gebrauch dieses Begriffs) „geht von der Realität des Allgemeinen in den Dingen“[16] aus, sieht einen Zusammenhang zwischen dem Allgemeinbegriff (zum Beispiel „Menschheit“) und der Sache (bzw. in dem genannten Beispiel dem Individuum „Mensch“), „die auf einer Art inhaltlicher Abbildung beruht“[17]. Zu den Realisten gehörten u. a. Johannes (Scotus) Eriugena (9. Jahrhundert), Anselm von Canterbury, Wilhelm von Champeaux (1070-1121) sowie Thomas von Aquin (um 1225-1274).
Gegen diesen Realismus, also gegen die Entsprechung von Begriff und Sache, sprachen sich die Nominalisten aus. Sie erkannten nur dem Individuellen, der einzelnen Sache Realität zu. Eine Einheit zwischen den Dingen / den Individuen sei nur durch die Namen, durch Worte bzw. durch ihre Aussprache gegeben. Heiricus von Auxerre (9. Jahrhundert), Roscelin von Compiègne (ca. 1050 bis ca. 1120), Petrus Abaelard und Wilhelm von Ockham (um 1280 bis ca. 1349) waren Nominalisten.
Um 1240 lag schließlich das gesamte Werk Aristoteles in lateinischer Sprache vor. Hinzu kamen Übersetzungen arabischer Philosophen und Naturwissenschaftler, Werke über Medizin, Optik, Chemie, Algebra oder auch Astronomie. Das führte zu neuen Einsichten, aber auch zu Konflikten, denn nicht alles konnte problemlos in das christliche Weltbild der Zeit eingebettet werden. Nicht ohne Grund fanden sich einige Gelehrte dann auch auf der „Anklagebank“ wieder. Allein dass die Schriften von Heiden stammten, führte dazu, dass beispielsweise Albert der Große (auch Albertus Magnus, um 1200-1280) mit seinen Ordensbrüdern, den Dominikanern, diskutieren musste. Er plädierte dafür, diese Schriften vorurteilsfrei zu prüfen.[18] (Flasch 1988, S. 318)
Daraus ergab sich ein weiteres Problem: Sollte die Philosophie von der Theologie getrennt werden? Albert der Große vertrat die Meinung, dass die Theologie „andere Prinzipien [habe] als die Philosophie; sie gründet sich auf Offenbarung und Inspiration, die Philosophie hingegen auf Vernunft“[19]. Der wohl berühmteste Scholastiker, Thomas von Aquin (um 1225-1274), hingegen versuchte die Annäherung der beiden Disziplinen. Philosophische Argumente seien durchaus nützlich, den christlichen Glauben zu verteidigen, auch wenn die Argumentationslinien von Philosophen stammten, die keine Theologen und auch keine Christen waren. Und so könne beispielsweise der Glaube nur aufzeigen, dass (!) Gott die Welt erschaffen habe. Die Wissenschaft hingegen könne erklären, wie die Welt beschaffen sei.
Verweise
[1] Peter Burke: Die europäische Renaissance. Zentren und Peripherien. München 1988, S. 36.
[2] Bernd Roeck: Der Morgen der Welt. Geschichte der Renaissance. München 2017, S. 215.
[3] Baumgart, Fritz: Stilgeschichte der Architektur, Köln 1977, S. 90 f.
[4] Boockmann, Hartmut: Einführung in die Geschichte des Mittelalters. 4 Aufl., München 1988, S. 36.
[5] Boockmann, Hartmut: Einführung in die Geschichte des Mittelalters. 4 Aufl., München 1988, S. 37 f.
[6] Bernd Fuhrmann: Deutschland im Mittelalter, Darmstadt 2017, S. 146.
[7] Kurt Flasch: Das philosophische Denken im Mittelalter. Von Augustin zu Machiavelli. Stuttgart 1988, S. 180.
[8] Bernd Roeck: Der Morgen der Welt. Geschichte der Renaissance. München 2017, S. 198.
[9] Kurt Flasch: Das philosophische Denken im Mittelalter. Von Augustin zu Machiavelli. Stuttgart 1988, S. 187.
[10] Bernd Roeck: Der Morgen der Welt. Geschichte der Renaissance. München 2017, S. 310.
[11] Karl Vorländer und Erwin Metzke: Geschichte der Philosophie. Erster Band: Altertum und Mittelalter. Hamburg 1949 S. 308.
[12] Bernd Roeck: Der Morgen der Welt. Geschichte der Renaissance. München 2017, S. 290.
[13] Kurt Flasch: Das philosophische Denken im Mittelalter. Von Augustin zu Machiavelli. Stuttgart 1988, S. 211.
[14] Bernd Roeck: Der Morgen der Welt. Geschichte der Renaissance. München 2017, S. 292.
[15] Kurt Flasch: Das philosophische Denken im Mittelalter. Von Augustin zu Machiavelli. Stuttgart 1988, S. 213.
[16] Walter Brugger: Philosophisches Wörterbuch. Freiburg im Breisgau 1976, S. 316.
[17] Historisches Wörterbuch der Philosophie (HWPH). Hrsg. von Joachim Ritter und Karlfried Gründer. Band 8: R-Sc. Basel 1992, Sp. 149.
[18] Kurt Flasch: Das philosophische Denken im Mittelalter. Von Augustin zu Machiavelli. Stuttgart 1988, S. 318.
[19] Kurt Flasch: Das philosophische Denken im Mittelalter. Von Augustin zu Machiavelli. Stuttgart 1988, S. 320.