Die Hochrenaissance in Mailand
Mailand um 1500 – und die Kunst am Beispiel Leonardo da Vincis

Leonardo da Vinci; Ausschnitt aus Raffaels Fresko „Die Schule von Athen“; Wikimedia Commons
Leonardo da Vinci (1452-1519) war zunächst eng mit der Stadt Florenz verbunden – so eng, dass der französische Kunsthistoriker Daniel Arasse (1944- 2003) gar schrieb: „Leonardo war ganz und gar Florentiner“ (Arasse: Leonardo da Vinci. 1999, S. 148), gleichwohl er höchstens 20 Jahre dort gelebt und gearbeitet habe. In der Nähe geboren und aufgewachsen, lebte Leonardo ab 1457 in Florenz. Dort ging er auch in die Lehre bei einem bekannten Bildhauer, Maler und Goldschmied, Andrea del Verrocchio (1435–1488), und arbeitete bei ihm noch weitere Jahre.
Letztlich habe Leonardo, so Volker Reinhardt (Leonardo da Vinci. 2018, S. 60), 1482 wohl aus eigenem Antrieb den Wechsel von Wohn- und Arbeitsort vorgenommen – in Florenz waren größere Aufträge nicht zu erwarten. Und zu den Künstlern, die Lorenzo de’ Medici (1449-1492) als Folge des Friedensabkommens (um 1479) mit Papst Sixtus IV. (1414-1484) nach Rom schickte, gehörte Leonardo auch nicht. Volker Reinhardt vermutet, dass man „einen notorischen Nicht-fertig-Macher“ (ebd., S. 58) bei dieser heiklen Mission in Rom nicht gebrauchen konnte – vielleicht sei auch die Begebenheit rund um seinen Lehrling aus Leonardos Werkstatt, der wegen unsittlichen Verhaltens ein halbes Jahr gefangen gehalten wurde, mit ausschlaggebend gewesen.
In Bernd Roecks Biografie von Leonardo wird der Grund eher bei dem Künstler selbst gesucht: „Vielleicht interessierte ihn der Auftrag nicht. (…) Die [in Rom verlangte] Wandmalerei blieb für ihn zeitlebens ein sperriges Metier.“ Hinzu kam, „dass er sich inzwischen intensiver mit technischen und wissenschaftlichen Fragen auseinanderzusetzen begann“. (Roeck: Leonardo. 2019, S. 88)
Und so machte sich Leonardo Ende 1481 oder Anfang 1482 auf den Weg nach Mailand.
Das Herzogtum Mailand zur Zeit der Sforzas
Der Mailänder Hof war der Wohn- und Regierungssitz der Familie des Herzogtums, das von 1395 bis 1797 Bestand hatte und große, weit über die Stadt hinausragende Gebiete (ungefähr die Gebiete der heutigen Lombardei) umfasste – mal mehr, mal weniger: Politik und Kriege sorgten für Veränderungen des Territoriums.
Zur Zeit Leonardos herrschte die Familie der Sforza in Mailand, die begründet wurde durch Francesco Sforza (1401-1466). Francesco war als 22-Jähriger bereits ein Söldnerführer, muss körperlich sehr stark gewesen sein und bewies sich später auch als besonders guter Kommandeur und Taktiker. Als der Herrscher von Mailand, Filippo Visconti (1392-1447), starb, übernahm Francesco, verheiratet mit Filippos Tochter, die Herrschaft in Mailand.
Francesco Sforza war es auch, der 1454 den Frieden von Lodi mit dem großen Rivalen auf dem italienischen Festland, der Republik Venedig, schloss – siehe die Einführung zur Hochrenaissance. Nach seinem Tod 1466 regierte sein Sohn Galeazzo Maria Sforza, der vergeblich nach der Königswürde trachtete und einer herrschaftlich-prunkvollen Lebensweise am Mailänder Hof frönte. Die beste Musikkapelle Italiens sollte dort musizieren, die besten Sänger sollten angeheuert werden. „Seine Cappella wuchs auf mehr als dreißig Sänger an und war damit größer als jede andere in Italien, sogar die päpstliche Kapelle.“ (Siehe die Zusammenfassung des Artikels über Galeazzo Maria Sforza von Patrick Macey.) Zehn Jahre herrschte er, den Künsten und der Musik sehr zugeneigt, aber mit einem Hang zur Brutalität und Grausamkeit, bis er 1476 ermordet wurde.
Galeazzos Sohn war erst sieben Jahre alt und so übernahm Galeazzos Bruder Ludovico Sforza (1452–1508) stellvertretend die Regentschaft – und behielt sie faktisch auch, als der Neffe volljährig wurde.
1499 wurde das Herzogtum Mailand von Ludwig XII., König von Frankreich, angegriffen. Sie vertrieben Lodovico Sforza und regierten Mailand bis 1513.
Leonardo am Mailänder Hof
Was und wie Leonardo da Vinci in den ersten Mailänder Jahren gearbeitet hat, ist recht unsicher. Es existiert ein merkwürdiges Bewerbungsschreiben für eine Anstellung am Mailänder Hof – ob der dortige Herzog Ludovico Sforza (1452-1508) dieses jemals zu Gesicht bekam, ist zweifelhaft. Eine Werkstatt hatte Leonardo, kleinere Arbeiten sind belegt, auch die „Felsgrottenmadonna“ schuf er zwischen 1483 und 1486 , aber sonst? Eine Forschungslücke. (Reinhardt: Leonardo da Vinci. 2018, S. 82)
Die Felsgrottenmadonna war schon ein gutes Zeugnis seiner Kunst: Fast 200 Zentimeter hoch und 120 breit, sind zwei Versionen davon vorhanden, sie zeigen erstaunliche Effekte, die zahlreiche Nachahmer an den Mailänder Schulen fanden. (Tönnesmann: Die Kunst der Renaissance. 2007, S. 60)
Unter Ludovico Sforza kam also Leonardo da Vinci an den Mailänder Hof – und blieb, so viel steht fest, bis 1499. In dieser Zeit schuf er das berühmte „Letzte Abendmahl“ (ab 1495). Es waren aber nur wenig Kunstwerke, die Leonardo in dieser Zeit schuf, was ggf. daran lag, dass er auf unterschiedlichsten Wegen unterwegs war: Geometrie- und Statikstudien fertigte er an, beschäftigte sich mit der menschlichen Anatomie, stellte Überlegungen zur Verbesserung der Hygiene in der Stadt an und war an der Organisation der ersten Mailänder Müllabfuhr beteiligt, interessierte sich für die Kriegs- und Waffentechnik, wie etliche Skizzen aufzeigen.
„Das Abendmahl“ von Leonardo da Vinci (1494-1498)
In der nachfolgenden Bilderschau wird das Abendmahl Leonardos näher beschrieben:
Weitere Stationen Leonardos
Als Ludovico Sforza 1499 vom französischen König Ludwig XII. (1462-1515, König ab 1498) vertrieben wurde, kehrte Leonardo über Umwege zurück nach Florenz – „(…) und fortan war der Rhythmus seines künstlerischen Lebens bestimmt von der Suche nach einem Fürsten, dessen Hof ihm einen sicheren Hafen bieten konnte.“ (Arasse: Leonardo da Vinci. 1999, S. 148) Tatsächlich wäre für Leonardo, der so vielseitig interessiert war und seinen mannigfachen Forschungen nachgehen wollte, ein „normales“ Künstlerleben – in einer Zunft organisiert und Aufträge entgegennehmen zu müssen, für die es Abschlagszahlungen gab, bis das beauftragte Kunstwerk vollendet ist – zu einschränkend gewesen. An einem Hof hingegen konnte der Maler und Bildhauer auch noch „Architekt, Erfinder, Wissenschaftler und Ingenieur“ sein. (Grewenig und Letze: Leonardo da Vinci. 1995, S. 11)
Einige Jahre später wirkte Leonardo erneut am Mailänder Hof, jetzt unter Charles d’Amboise (1472/73-1511), der von Ludwig XII. als Vizekönig eingesetzt worden war. Leonardo widmete sich auch hier verschiedenen Studien, versuchte ältere Projekte zu Ende zu führen, verließ aber nach dem Tod von Charles d’Amboise Mailand.
Sfumato und Chiaroscuro
Fragt man nach dem Besonderen der Kunst Leonardos, so muss zum einen konstatiert werden, dass es nur wenige Gemälde gibt, die eindeutig Leonardo da Vinci zuzuordnen sind – nach Grewenig/Letze (1995, S. 27 ff.) sogar nur vier: die unvollendeten „Der Heilige Hieronymus“ und „Anbetung der Könige aus dem Morgenland“, das Abendmahl-Fresko sowie die Mona Lisa.

Leonardo da Vinci: Mona Lisa; Photographer
C2RMF; Wikimedia Commons, public domain
Trotzdem kommt man nicht an dieser besonderen Art Leonardos vorbei, das Hauptmotiv vom Hintergrund abzuheben: das Sfumato. Es erinnert mich, der gerne fotografiert, an die Erzeugung eines Unschärfebereichs über die Einstellung der Blende erzeugt – und damit Vorder- und Hintergrund in Stufen voneinander trennen kann. Das Sfumato von Leonardo lässt den Hintergrund, z.B. bei der Mona Lisa (aus den Florentiner Jahren), geheimnisvoll erscheinen, indem Kanten und Konturen und damit einzelne Bestandteile der Landschaft verschwimmen oder aufgelöst werden (Reinhardt, S. 194). Bernd Roeck zitiert den italienischen Architekten, Hofmaler der Medici und Biograph italienischer Künstler, Giorgio Vasari (1511-1574):
„Es war eben diese Kunst des ‚sfumato‘, die schon in der Sicht Vasaris Leonardos Stellung in der Kunstgeschichte begründete. ‚Es ist wunderbar, wie dieser Geist [«ingegno»] im Bestreben, den Dingen, die er machte, größte Körperlichkeit [«sommo rilievo»] zu geben, mit seinen dunklen Schatten so weit ging, um möglichst dunkle Gründe zu erzielen, ein Schwarz suchte, das tiefere Schatten machte und dunkler war als andere, damit das Helle durch sie noch heller werde (…) Alles kam daher, weil er größeres Relief zu geben suchte, um Ziel und Vollkommenheit der Kunst zu finden.‘“ (Roeck: Leonardo. 2019, 223 f.)
Reinhardt erklärt zudem, dass die Wirkung des Hintergrunds der Mona Lisa „mit zahlreichen Abstufungen von Schatten und Licht“ (Reinhardt, S. 194) unterstrichen wurde. Er spricht damit das sogenannte Chiaroscuro an: das Hell (italienisch chiaro) und Dunkel (scuro), mit dem die dargestellten Szenen nahezu dreidimensional erscheinen, Volumen wird sichtbar, es „ermöglicht eine größere farbliche Einheitlichkeit, die realistischer ist“, wie die Kunsthistorikerin Allison Lee Palmer in ihrem Werk über Leonardo Da Vinci (2018, S. 38) schreibt.
Und ja, Leonardos Künste in diesem Bereich prägten die künftige Malerei ungemein, nach Palmer (Leonardo da Vinci, 2018, S. 38) nutzte beispielsweise Caravaggio (1571-1610) sie für seine dramatischen Gemälde.
Verwendete Literatur
Daniel Arasse: Leonardo da Vinci. Köln 1999.
Meinrad Maria Grewenig und Otto Letze (Hrsg.): Leonardo da Vinci. Künstler, Erfinder, Wissenschaftler. Speyer 1995, 223 S. ***Kaufen bei Amazon*** (nur gebrauchte Exemplare vorhanden)
Allison Lee Palmer: Leonardo Da Vinci. A Reference Guide to His Life and Works. 2018. ***Kaufen bei Amazon***
Volker Reinhardt: Leonardo da Vinci: Das Auge der Welt. Eine Biographie. München 2018. ***Kaufen bei Amazon***
Bernd Roeck: Leonardo. Der Mann, der alles wissen wollte. Biographie. München 2019. ***Kaufen bei Amazon***