Die Hochrenaissance in Rom
Rom um 1500 – und die Kunst an den Beispielen Michelangelos und Raffaels
Während für die Frührenaissance v.a. Florenz und die Medici prägend waren, schob sich, nach der Vertreibung der Medici 1494, Rom in den Vordergrund. Künstler und Humanisten versammelten sich hier, konkurrierten und prägten sich gegenseitig bei den Ausübungen ihrer Künste. Vor allem unter den beiden Päpsten und Kunstliebhabern Julius II. (1443-1513, Papst ab 1503) und dem oben erwähnten Medici-Papst Lex X. (1475-1521, Papst ab 1513) versammelten sich viele bekannte Namen in Rom, u.a.:
- Michelangelo, der 1494 über Umwege nach Rom kam, dort bis 1501 blieb, nach Florenz zurückkehrte und 1505 wieder in Rom weilte – und ab 1508 die berühmten Fresken der Sixtinischen Kapelle anfertigte;
- Schon seit 1500 war der Maler und Baumeister Donato Bramante in Rom, der ab 1504 für den Neubau des Petersdoms zuständig sein sollte;
- 1508 kam der Maler Raffael, der zudem Bramantes Nachfolger als Architekt und Bauleiter der Peterskirche wurde;
- Leonardo da Vinci war zwischen 1513 und 1517 dort, jedoch mit wohl mäßigem künstlerischen Ertrag.
Im Kapitel über die Frührenaissance wurde der schlechte Zustand Roms im 14. Jahrhundert beschrieben, kurz: Die Stadt war schäbig und vermodert. Unter Papst Nikolaus V. (1397-1455, Papst ab 1447) wurden viele Makel beseitigt und Rom bereits deutlich aufgewertet, mit seinem Nachfolger, dem Humanisten und Dichter Enea Silvio Piccolomini trat als Pius II. (1405–1464, Papst ab 1458) der ideale Papst für die Entwicklung der Renaissance an die Spitze Roms. In den Folgejahrzehnten kam es allerdings verstärkt zu Vetternwirtschaft und Korruption, denen der zuvor erwähnte Kunstliebhaber Papst Julius II. ein Ende bereiten wollte – und es teilweise auch schaffte.
„Unter Julius II. und seinem Nachfolger Leo X. schlugen den Künsten am Tiber Sternstunden“, schreibt Bernd Roeck in seinem „Morgen der Welt“ (2017, S. 674). Rom glänzte wieder – aber nicht sehr lange, denn der „Sacco di Roma“, die Plünderung Roms durch Söldner Kaiser Karls V. 1527, und einer Seuche in demselben Jahr trafen Rom stark.
Michelangelo in Rom
Bramante, Raffael und Michelangelo waren die „Konstrukteure der römischen ‚Hochrenaissance‘“ (Roeck: Morgen der Welt, 2017, S. 675), Raffael und Michelangelo die „Göttlichen“ (ebd., S. 673). Als ein vortreffliches Beispiel für die Göttlichkeit der Kunst darf die Ausmalung der Decke, des Gewölbes der Sixtinischen Kapelle durch Michelangelo betrachtet werden.
Die gesamte Geschichte dieses Großauftrags – von den ersten Planungen bis zu der Fertigstellung – ist voller Fragen, zum Beispiel: Warum floh Michelangelo aus Rom, nachdem bekannt wurde, dass er nicht das Julius-Grabstätte zu Ende führen sollte sondern in der Sixtinischen Kapelle malen sollte? Wer hatte die Idee, statt des traditionellen Sternenhimmels etwas derart Komplexeres zu erstellen? Hatte Michelangelo vom Papst Julius II. tatsächlich „freie Hand“ bekommen, was die Ausgestaltung der Decke betraf?
Tatsächlich hatte Michelangelo endlich eine (heute nicht mehr existierende) überlebensgroße Bronzestatue eines kämpferischen Papstes, Julius II., fertiggestellt – und rechnete nun damit, endlich dessen Grabstätte fertigstellen zu können. Doch der Papst hatte nun andere Pläne, verärgerte damit offensichtlich Michelangelo, der wiederum mit einer Rückkehr nach Florenz 1506 Julius II. brüskierte.
Schließlich machte sich Michelangelo doch an die Vorbereitungen der Arbeiten in der Sixtinischen Kapelle. Wo sich bis dato ein Sternenhimmel zeigte, sollte nach ersten Gedanken des Papstes eine Ausgestaltung mit den Aposteln entstehen. Michelangelo gedachte Größeres als eine derartige „ärmliche Sache“ – und entwickelte die Idee der Darstellung vieler Figuren und Themen, im Mittelpunkt stehend die Geschehnisse der alttestamentarischen Genesis mit Schöpfung, dem ersten Menschenpaar und der Sintflut.
Zu diesem großen Werk gibt es auf dieser Website eine Extraseite, auf der in Text und Bild (animiert) die Deckenfresken des Künstlers erklärt werden.
zur Seite „Michelangelo: Die Deckenfresken der Sixtinischen Kapelle“
Nach der Fertigstellung der sixtinischen Fresken im Jahre 1512 rückte wieder das Julius-Grabmal in Michelangelos Mittelpunkt, doch zum Abschluss kam es noch lange nicht. Ursprüngliche Pläne von 1505 wurden verworfen, neue Pläne erstellt, verschiedene Vorhaben angebahnt und wieder verworfen – eine Geschichte, die an dieser Stelle kaum in Kürze wiedergegeben werden kann. Erst 1545 ist das Grabmal fertiggestellt worden, das eigentlich nur ein Scheingrab (Kenotaph) war, weil der Leichnam Julius II. längst im Petersdom beigesetzt worden war. Michelangelo hat einiges dazu beigetragen, als das bedeutsamste Element ist sicherlich der Moses anzusehen, den er bereits zwischen 1513 und 1516 schuf. Horst Bredekamp widmet dieser Figur in seinem voluminösen Werk über den großen Renaissance-Künstler immerhin 12 Seiten, inklusive einer ausführlichen Beschreibung von Sigmund Freuds Analyse „der psychischen und motorischen Innenbewegung des Moses“, die „das Bild dieser Marmorfigur unhintergehbar geprägt habe“ (2021, S. 302).
Weitere große Kunstwerke folgten, u.a. natürlich „Das Jüngste Gericht“. Papst Paul III. (1468-1549) beauftragte ihn 1536 dazu – das ist der Papst, der 1545 wegen des erstarkenden Protestantismus das Konzil von Trient einberufen hat –, nachdem er ihn kurz zuvor zum höchsten Architekten und Maler ernannt hatte.
Raffael in Rom
Seine künstlerische Hoch-Zeit in der Hochrenaissance verlief in seiner römischen Zeit von 1508 bis zu seinem frühen Tod als 37-Jähriger im Jahre 1520: Raffaello Sanzio da Urbino, kurz Raffael, geboren 1483 in Urbino (südlich des Kleinstaats San Marino), verlor bereits früh seine Mutter (1491) und, drei Jahre später, seinen Vater. Vielleicht ging er bereits als junger Vollwaise, vielleicht erst später nach Perugia (knapp 100 Kilometer entfernt von Urbino, Richtung Süden) und kam als Schüler in die Werkstatt von Perugino (richtiger Name: Pietro Vanucci, um 1445 bis 1523). Schon bald „überholte“ Raffael seinen Lehrer, bereits 1504 mit seinem Gemälde „Die Vermählung der Maria“ für die Kirche San Francesco in Città di Castello.
Der österreichische Kunsthistoriker Konrad Oberhuber (gest. 2007) sieht in diesem Meisterwerk viele Zahlenverhältnisse, welche ich nur zum Teil nachvollziehen kann – und das nicht nur, weil die Abbildung in seiner Publikation einen Bräutigam an der rechten Seite abgeschnitten hat (siehe Oberhuber: Raffael, 1999, S. 27). Das (komplette) Bild zeigt im Vordergrund links und rechts fünf Jungfrauen und 5 Bräutigame, ein Brautpaar und den Geistlichen – also insgesamt 13 Personen, was durchaus an Christus und seine 12 Apostel erinnern mag. Sie stehen in einer ähnlichen Rundung wie, dahinter, der Platz, die Treppen und der Tempel. Selbstbewusst und ggf. auch stolz auf sein Werk hinterließ der Maler gut sichtbar auf dem Tempel die Aufschrift: „RAPHAEL VRBINAS MDIIII“.
Nachdem er sich auch in Florenz einen Namen gemacht hat, u.a. mit seinen Madonnenbildern, gehen wir nun 1508, mit Raffael nach Rom – Donato Bramante hatte ihn hierhin, an den päpstlichen Hof, Donato Bramante vermittelt (Tönnesmann: Kunst der Renaissance. 2007, S. 71). Hier malte Raffael Porträts berühmter Männer, u.a. die Päpste Julius II. und Papst Leo X. – und schließlich die großen, dramatischen Werke in den Stanzen (Gemächern) des Apostolischen Palasts.
Nachfolgend wird das Gemälde „Die Befreiung des Petrus“, das sich im Saal des Heliodors (Stanza di Eliodoro) an der Nordwand befindet – über 6,5 Meter breit. Warum gerade dies? In der Literatur zur Kunst der Hochrenaissance steht zumeist die „Schule von Athen“ im Vordergrund mit ihren philosophischen und theologischen Gegenüberstellungen. Faszinierend ist dieses Gemälde sicherlich, ebenso seine vielen Beschreibungen und Deutungen. „Die Befreiung des Petrus“ hat nicht dieses riesige Thema, hier geht es um eine kleinere Begebenheit, wegen der Umsetzung und Dramatik aber sehr beeindruckend.
Drei Szenen finden sich auf diesem Gemälde Raffaels aus dem Jahre 1512 – einer Simultandarstellung, die drei Begebenheiten gleichzeitig zeigt, obwohl diese zeitlich hintereinander geschehen. Kurz: Die Szene in der Mitte zeigt den Akt der Befreiung des Apostels Petrus durch den Engel, rechts verlässt der Engel mit Petrus das Gefängnis, links haben Soldaten die Flucht wahrgenommen.
Grundlage des Bildes ist der Bibeltext aus dem 12. Kapitel der Apostelgeschichte: Der König von Judäa, Herodes, der für die einen ein Knecht Roms und ein Kindsmörder war, in der neueren historischen Forschung, so Monika Konigorski (2014 auf den Seiten des Deutschlandfunks) jedoch ein deutlich positiveres Bild bekommen hat, dieser Herodes ließ den Apostel Petrus ins Gefängnis werfen. 16 Soldaten („vier Abteilungen von je vier Soldaten“, Vers 4) sollten Petrus bewachen – ein Entkommen sollte damit unmöglich sein. Da musste schon ein Engel Gottes her.
„6 In der Nacht, ehe Herodes ihn vorführen lassen wollte, schlief Petrus, mit zwei Ketten gefesselt, zwischen zwei Soldaten; vor der Tür aber bewachten Posten den Kerker. 7 Und siehe, ein Engel des Herrn trat hinzu und ein Licht strahlte in dem Raum. Er stieß Petrus in die Seite, weckte ihn und sagte: Schnell, steh auf! Da fielen die Ketten von seinen Händen. 8 Der Engel aber sagte zu ihm: Gürte dich und zieh deine Sandalen an! Er tat es. Und der Engel sagte zu ihm: Wirf deinen Mantel um und folge mir! 9 Und Petrus ging hinaus und folgte ihm, ohne zu wissen, dass es Wirklichkeit war, was durch den Engel geschah; es kam ihm vor, als habe er eine Vision.“ (Zitat nach der Einheitsübersetzung von 2016) Erst als sie aus dem Gefängnis traten und der Engel verschwand, wurde Petrus bewusst, dass seine Befreiung tatsächlich geschehen war.
Das Gemälde der „Befreiung des Petrus“ spielt mit vielfältigen Lichtern und Lichtquellen – und faszinierenden Reflexionen. Klar, der Engel strahlt unablässig und übertrifft alle anderen Lichter. Die beiden Wachen innerhalb der Gefängniszelle scheinen nach unten zu schauen, geblendet von dem hellen Licht, das ihre Rüstungen strahlen lässt. Der Engel weckt Petrus, der sitzend und an Hand, Fuß und Hals gekettet schläft – und offenbar nicht durch den hellen Schein wach wird. Dies und sein Blick weg vom Engel in der Szene rechts mag unterstreichen, dass Petrus diese Begebenheit nicht so recht wahrnimmt – „als habe er eine Vision“. Der Gang aus dem Gefängnis heraus gelingt recht leicht, denn die Wachen schlafen auf der Treppe, weshalb in der Szene links erboste Wachen zwei schlafende Kollegen schelten. Der eine zeigt Richtung Zelle.
Um klarzumachen, worum es geht: Der Gefangene ist geflohen! Im Hintergrund zeigt sich der Sichelmond, eine leichte Morgenröte zeigt sich bereits und auch eine Fackel erleuchtet diesen Bildteil. Die Bildsprache lebt vom Hell und Dunkel, von den Lichtern und ihren Reflexionen – und sie wirkten auf Giorgio Vasari (1511-1574), dem italienischen Architekten und Biographen italienischer Künstler, so echt, dass klar sei: Raffael ist „der Maler der Maler“ (Müntz: Raffael, Band 2, Google Books). Und da wir nun beim Lob des Raffael sind – der oben erwähnte Kunsthistoriker Konrad Oberhuber meint zu diesem Bild: „Die souveräne Lockerheit des Pinselduktus, mit der dieser Engel und Petrus gemalt sind, zeigt Raffael auf dem Höhepunkt seiner Virtousität.“ (Oberhuber: Raffael, 1999, S. 122)
Die großen Fähigkeiten Raffaels waren weithin bekannt – und dies führte nach dem Ableben Donato Bramantes, der ihn nach Rom holte und ab etwa 1504 als Dombaumeister für den Neubau des Petersdoms verantwortlich war, dazu, dass Raffael 1514 sein Nachfolger wurde. Dies ließ ihm wenig Zeit für weitere Großprojekte und einige Aufträge reichte er daher an seine Schüler weiter. Sechs Jahre später starb Raffael.
Verwendete Literatur
Horst Bredekamp: Michelangelo. Klaus Wagenbach Verlag. Berlin 2021.
Peter Burke: Die europäische Renaissance. Zentren und Peripherien. München 1998.
Monika Konigorski: Rehabilitierung eines verhassten Herrschers – Herodes. Online lesbar auf der Website des Deutschlandfunks unter: https://www.deutschlandfunk.de/herodes-rehabilitierung-eines-verhassten-herrschers-100.html (vom 26.12.2014, abgerufen am 17.12.2024).
Eugène Müntz: Raffael. Band 2. Ohne Seitenzählung auf der Website von Google Books in Teilen lesbar: https://www.google.de/books/edition/Raffael_Band_2/f9tUDwAAQBAJ?hl=de&gbpv=1&dq=befreiung+des+Petrus+raffael&pg=PT109&printsec=frontcover (abgerufen am 17.12.2024; Müntz war ein frz. Kunsthistoriker, der von 1845-1902 lebte.)
Konrad Oberhuber: Raffael. Das malerische Werk. München, London, New York 1999.
Bernd Roeck: Der Morgen der Welt. Geschichte der Renaissance. München 2017.
Andreas Tönnesmann: Die Kunst der Renaissance. Reihe C.H.Beck Wissen. München 2007.